Interview: Produktionsfaktor Konflikt

Mitte 1988 wurde das Interview  mit Klaus P. Friebe als Basis für nachfolgenden Artikel geführt.  Friebes Erkenntnisse dort sind aktuell wie nie! Das Thema: Produktionsfaktor Konflikt – also die Wirkung von Konflikten in der Technik, im Management  und Unternehmen, in der Wirtschaft und und in der Gesellschaft.  Das Gespräch mit Friebe damals führte die Markt&Technik-Redakteurin Ulrike Mäncher. Ihr daraus entstandener Artikel erschien im Juli 1988 in der Markt&Technik, Wochenzeitung für Elektronik (Eduard Heilmayr).

Technik und Gesellschaft: weg vom Harmoniedenken

Produktionsfaktor Konflikt

Berlin (um) —Der beständige Wunsch nach Harmonie – mit der Umwelt, mit der Technik und auch miteinander – macht die Men-schen unserer Gesellschaft konfliktunfähig. Sie weichen der Ausein- andersetzung aus. Konflikt, als Widerstreit der Motive, hat aber im Zeitalter der High Technology eine wesentliche Bedeutung, wenn es darum geht, die Dimensionen auszuschöpfen, die die neuen Techno- logien uns ermöglichen. Über das Thema Technik und Gesellschaft philosophierte Klaus P. Friebe im Gespräch mit Markt & Technik.

Das Problem ist grundsätzlich. „Wir haben verlernt, mit Konflikten umzugehen. Die Gesellschaft ist nicht mehr konfliktfähig. Alles strebt nach Harmonie.“Harmonie aber heißt im Grunde genommen Stillstand. Klaus P. Friebe, Geschäftsführer des VDI/VDE-Technologiezentrums Informationstechnik GmbH, ist sich anderseits sicher: “ Nur durch Konflikt läßt sich eine Veränderung organisieren und damit eine Zukunft für die Gesellschaft entwickeln.“

Entscheidend sei es in diesem Zusammenhang, so meint Friebe, daß heute immer mehr Menschen, Mitglieder der Gesellschaft, vom industriellen Wertschöpfungsprozeß und damit von den industriellen Zwängen abgekoppelt sind.

Dadurch fehle ihnen der Einblick in die Zwänge der Industrie und der Überblick über die Zusammenhänge von Produktion und Wirtschaft. Ihre Entlohnung beziehen sie nicht mehr direkt aus dem industriellen Produktionsablauf, „wo“, so Friebe, „das Geld wirklich verdient wird“. Friebe: „Sie beziehen eine Bezahlung, ohne direkt im Produktionsprozeß drin zu sein, und kennen die Zwänge diesesProduktionsprozesses nicht. Deshalb glauben sie ohne die In-dustrie leben zu können.“  Als Beispiel nennt Friebe die Lehrergilde: „Lehrer sind ökonomisch nicht mehr an den Produktionsprozeß gebunden und fangen an, ein Subsystem zu entwickeln, das mit der realen Welt nichts mehr zu tun hat.“ Technologische Gegebenheiten würden negiert oder gar abgelehnt und damit ein entscheidender Faktor für die Entwicklung einer lebbaren, wünschenswerten Zukunft nicht berücksichtigt.

Abkopplung von der Produktion heißt unter Umständen aber auch Abkopplung von der Information. Der Umgang mit dem Computer zum Beispiel wird immer noch als Hürde angesehen. Nach einer Emnid-Studie schwankt in den Bundesländern die Zahl derer, die sich über Computer sehr gut informiert fühlen, nur zwischen einem und drei Prozent.

Der Mangel an Information über die neuen Technologien und auch ganz generell führe, so Friebe, zu Unsicherheit. Man ist nicht mehr konfliktfähig, weil man keine Argumente hat. Angst entsteht und unkontrollierte Energien, die nicht via Auseinandersetzung frei werden, werden anderswo abgeladen.

Friebe hat einschlägige Erfahrungen gemacht. Auf seine Institution wurde vor einigen Wochen ein Bombenattentat verübt. In einem Bekennerschreiben hieß es, man wolle die »Atom-Lobby« treffen. Mit der hat das VDI/VDE Technologiezentrum Informationstechnik allerdings nichts zu tun. Friebe: »Es hat die Falschen getroffen.«

Der Mangel an Information und dessen Auswirkungen wird hier besonders kraß deutlich. Es kommt zu einem Verschieben von Machtstrukturen durch das Verfügen über Information. Die Ohnmacht, im wahrsten Sinn des Wortes, das wird in diesem Fall klar, führt auf der anderen Seite zu unkontrollierten Ausschreitungen. Friebe: »Deswegen muß man frühzeitig lernen, mit kleinen Konflikten umzugehen. Das heißt also Organisationsstrukturen, sowohl in der Wirtschaft als auch in der Gesellschaft, müssen konfliktfähig gemacht werden. Die Konfliktfähigkeit entblößt beziehungsweise minimiert Strukturen der Macht und läßt der Entwicklung an der Sache, um der Sache willen, Raum.«

Die Technik, die Informationstechnologien könnten ein »Demokratisierungselement« für den »Aufbruch in die Zukunft« sein. Friebe erklärt: »Jeder neue Aufbruch geht sprunghaft vor sich. Machtstrukturen, die auf Vorherrschaftswissen und auf Herrschaftswissen beruhen, werden zerstört. Das heißt, ein Demokratisierungsprozeß der Information findet statt. Er wird nicht nur in der Industrie, sondern auch in der Gesellschaft eintreten.«

In diesem Rahmen sieht Friebe die Notwendigkeit für eine neue Technik-Politik der Zukunft. Er unterscheidet vier Phasen:

  • In einer ersten Phase, einer akuten Krisensituation, wird die Dominanz der Technik gegenüber anderen Bereichen von niemandem mehr in Frage gestellt.
  • Im Anschluß an diese Krise, in der Phase zwei, wird der Wirtschaftspolitik Vorrang eingeräumt. Dabei fließen jedoch die während der Krise entwickelten neuen Techniken in das Wirtschaftsleben ein.
  • Erst in der Phase drei, einer Phase der Konsolidierung, kommt eine gesellschaftspolitische Diskussion über die Technik auf. Allerdings verkümmern in dieser Phase die Fähigkeiten zur Weiterentwicklung von Technologien. Friebe: »Diese Phase haben wir vor wenigen Jahren mehr oder weniger über uns hinweg laufen lassen. Heute befinden wir uns in einer vierten Phase. Wir müssen uns jetzt darauf konzentrieren, der Technologie den Stellenwert zu geben, der notwendig ist, um gesellschafts- und wirtschaftspolitisch weiterzukommen. Wir können keine Gesellschaftspolitik betreiben ohne eine gesunde Wirtschaftspolitik und keine gesunde Wirtschaftspolitik ohne eine langfristige Technologiepolitik.«

Wolle man eine effektive Technologiepolitik auf den verschiedenen Ebenen Staat, Unternehmen, Gewerkschaft, Arbeitsplatz führen, müsse man eine Qualifizierungs-Bildungspolitik betreiben. Friebe: »Und zwar in einer anderen Form, als wir sie heute in den Institutionen verstehen. Die institutionelle Bildungspolitik ist zu langsam, zu träge, zu sehr prestige-behaftet, machtorientiert und nicht inhaltsorientiert, das heißt für die zukünftige Gesellschaftsentwicklung unbrauchbar. Das wollen viele nicht hören, aber das ist so. Der Obsoleszenzindex in diesem Bereich liegt bei einer Größenordnung von 75 Prozent. Das heißt, bis zu 75 Prozent des zur Zeit vermittelten Wissens ist. schon wieder veraltet.«

Das Fachwissen entwickelt sich immens schnell und ist dadurch für den einzelnen in der Gesellschaft schwer faßbar. »Deswegen«, meint Friehe, »greifen viele Leute lieber auf ‚museales‘ Wissen zurück, um ihrem Harmoniebedürfnis gerecht zu werden.«

Gar 85 Prozent sei der Obsoleszenzindex im Bereich der Produktion, sagt Friebe. »Dorthin wird der größte Teil unsererBildungs- und Ausbildungsmaßnahmen gehen müssen.«

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