Artikel: Die amerikanische Venture-Capital-Szene der 80er Jahre

In diesem Artikel blickt der Autor Eduard Heilmayr über den großen Teich in die USA und stellt heraus welche maßgeblichen Unterschiede bereits in den frühen 80er Jahren im Vergleich zur BRD im Bezug auf die Bereitstellung von Risikokapital herrschten. Mit diesem Artikel wächst das Verständnis wie die heutige Finanzierungskultur (Stichwort „Start-Up“, „Venture-Capital“) in den USA entstand.

Die USA scheinen in Bezug auf die Technologiefinanzierung der Bundesrepublik Deutschland vieles voraus zu haben. Nicht nur das große Angebot an Risikokapital und die Existenz von über 600 Venture-Capital-Gesellschaften sind wesentliche Vorteile, auch Mentalitätsunterschiede erleichtern Unternehmer und Kapitalgeber die Finanzierungsgeschäfte. »Das Venture- Capital-Geschäft in den USA im Vergleich zu Deutschland« — ein Teilthema, das beim M&T-Forum »Technologiefinanzierung« ausführlich besprochen wurde.

Vorneweg möchte ich nicht den Eindruck erwecken, das ‚Land der unbegrenzten Möglichkeiten‘ als Schulbeispiel hinzustellen. Aber gerade wenn es um Finanzierung im mittelständischen Bereich geht, können wir von den Amerikanern einiges lernen.« Volker Dolch, der diese Aussage im Forumsgespräch prägte, handelte kürzlich getreu dieser Überzeugung. Seine US-Tochtergesellschaft, 1979 gegründet, wird zum 31.12.82 die Geschäftsanteile der deutschen Dolch GmbH in Dietzenbach übernehmen. Ein wesentlicher Grund dafür ist, so Dolch, dass » damit verbundene Umwandlung meiner Firma in eine Aktiengesellschaft ein einfacher Weg ist, sich zu refinanzieren, ohne dabei die Kontrolle über das Unternehmen zu verlieren«.

Was unterscheidet nun den amerikanischen vom deutschen Finanzierungsmarkt — eine Frage, die ausführlich im Round-Table-Gespräch diskutiert wurde. Zunächst einige Fakten: Über sechs Milliarden Dollar investierten sogenannte Venture-Capital-Organisationen in den USA bisher in mittelständische Unternehmen. Den größten Anteil mit mehr als 50 Prozent erhielten dabei Elektronikfirmen. Das von den Venture-Capitalists zur Verfügung gestellte Beteiligungskapital verfünffachte sich nahezu von 250 Millionen Dollar im Jahre 1975 auf 1,2 Milliarden Dollar 1981. Im ersten Halbjahr 1982 wurden bereits über 700 Millionen Dollar verteilt. Bemerkenswert ist die Zusammensetzung der Venture-  Capital-Szene: Ungefähr 50 Prozent stammen von unabhängigen Kapitalgebern, die in etwa 120 Organisationen zusammengeschlossen sind. Sie sind meist Mitglieder der sogenannten National Venture Capital Association. Ein Anteil von zirka 25 Prozent entfällt auf mehr als 500 unter staatlicher Aufsicht operierender Small Business Investment Companies mit ihrer Dachorganisation NASBIC (National Association of Small Business Investment Companies). Der Rest von 25 Prozent verteilt sich auf Banken und Versicherungen. Die Aktivitäten ausländischer Investoren an diesem Gesamt- US-Geldmarkt werden für 1982 mit 15 Prozent beziffert. Nicht nur das Beteiligungskapital der Venture-Capital-Organisationen erreichte eine bemerkenswerte Höhe, auch die öffentlichen Mittel für kleine und mittelständische Unternehmen stiegen in den USA. Erhielten 1975 nur vier Firmen 16 Millionen Dollar aus der öffentlichen Hand, so erhöhte sich 1981 die Anzahl der Firmen auf 390 und das vergebene Kapital auf ungefähr 2,7 Milliarden Dollar.

Auch bei der Vergabe von Krediten gelten in den USA andere Spielregeln. Dolch berichtete: »Man spricht in der amerikanischen Finanzwelt mit Leuten, die ihre Hausaufgaben gemacht haben.« Unter »Hausaufgaben« versteht Dolch die gründliche Vorinformation der Finanziers über Produkte, Märkte, Wachstumschancen, Unternehmensstruktur, Managementqualitäten über die auf Kapitalsuche befindlichen Unternehmen. Das Resultat sei, dass der Unternehmer in der Regel im Finanzier einen sachverständigen Gesprächspartner vorfindet.

Dies bedeute aber nicht, so Dolch weiter, dass es einfacher  ist, in Amerika Kredite zu bekommen — ganz im Gegenteil:  »Die Absicherungen, die amerikanische Banker für Kredite haben wollten, empfand ich anfänglich als Unverschämtheit.« So setzten die Banker beispielsweise als Voraussetzung bestimmte Leistungsziele, die jeden Monat eingehalten werden müssen, damit der Kredit bestehen bliebe, berichtete Dolch. Als Person werde man genau analysiert wie das eigene Unter nehmen: »Die haben mich auf das Fahrrad geschnallt bis zum Umfallen. So hat mich in Deutschland keine Bank durchleuchtet. Da müssen Sie unterschreiben, dass Sie nicht rauchen und Obduktionsrechte geben«, beschrieb Dolch mit Humor seine Erfahrungen. Die Diskussion mit amerikanischen Kapitalgebern ist im Vergleich zu deutschen Finanziers laut Dolch sehr viel fruchtbarer: »Hier versucht man noch, irgendwo einen Onkel ‚auszugraben‘, der vielleicht doch noch einen Acker hat, obwohl man die komplette Liste der Verwandten schon zehnmal durchgegangen ist.« Die Gründe für die unterschiedliche Verfahrensweise bei der Vergabe von Geldmitteln in USA und Deutschland liegen nach Dolchs Ansicht zu einem wesentlichen Teil in der Mentalität der Geschäftspartner.

Gerade dem Gesichtspunkt »andere Mentalität« wollte Max Pohl (West LB) nicht ohne weiteres zustimmen: »Wir sollten die entscheidenden, unterschiedlichen Kriterien nicht mit dem Wort ‚Mentalität‘, das auch immer Emotionalität mit bedeutet, in Verbindung bringen.« Vielmehr gehe es hier, so Pohl weiter, um klare Prinzipien, bei denen zwischen Angebot und Nachfrage ein Ausgleich stattfindet. »Sie haben mit nicht darauf hingewiesen, dass in Ihrem Fall in den USA wahrscheinlich mit höherem Sachverstand gearbeitet worden ist. Dies würde ich aber nicht unter den Begriff ‚Mentalität‘ fassen, sondern als ’sachliche Einstellung‘ werten.« Dass aber eine unterschiedliche Mentalität vorhanden sein könnte, bestätigt Pohl indirekt dennoch. Im Vergleich zu den Amerikanern werde bei der Zurücknahme eines Kredites in Deutschland meist geklagt, »dass die Bank kein Vertrauen mehr in das Unternehmen hat«. In den USA dagegen wird die Begründung, »dass die Voraussetzungen für einen Kredit nicht mehr gegeben sind«, allgemein akzeptiert, so Pohl.

Und noch etwas scheint die amerikanischen von den deutschen Kapitalgebern zu unterscheiden. »Wenn sie nach USA schauen, dann sind die Geldgeber dort reine Kapitalisten«, argumentiert Dr. Alfred Prommer (Prommer Consultants), und weiter: »Der will nach fünf Jahren wieder aus einem Unternehmen mit möglichst großem Gewinn aussteigen und sein Geld woanders investieren.« Diese Erfahrung Prommers bestätigt auch Dolch: »Diese Leute, mit denen man in Amerika verhandelt, lassen überhaupt keinen Zweifel darüber auf kommen, dass sie ihren Einsatz in der denkbar kürzesten Zeit verdoppeln und verdreifachen wollen.« Dies zu wissen, dass keine anderen Regeln im Spiel sind, ist auch gut so, meinte Dolch weiter. »Wir schämen uns in Deutschland, kapitalistische Grundsätze knallhart auf den Tisch zu legen und zu sagen, wir machen das alles, um uns zu bereichern.« Hier, so Dolch, könnten Unternehmer in Deutschland noch lernen, »den Geldgebern aufzuzeigen, wo sie sich an einem entwickelten Produkt durch den Einsatz von Kapital bereichern können« .

Gerade die »Ausstiegsmöglichkeit« für einen Finanzier aus einem Unternehmen ist in der amerikanischen Kapitalszene einfacher. Dies bestätigen auch, so Dr. Hartmut Grünau, Analysen, die das BMFT vorgenommen hat. Grünau: »Die Situation in den USA für die Refinanzierung des Venture Capitals ist eine ganz andere als in der BRD.« Die Refinanzierung erfolge dort über die Börse, und zwar über den sogenannten »Over-the-Counter«-Markt. »Dort wird echt spekuliert und daraus resultieren auch für die Anleger der ersten Stunde die Renditen in den Fällen, die gut laufen«, berichtet Grünau. Im Gegensatz dazu bestehe in der Bundesrepublik das Problem, »dass es diesen sehr lockeren Markt noch nicht richtig gibt und dass die Zulassung an unserer ‚klassischen Börse‘ erhebliche Hemmnisse birgt«. Da durch existiere in Deutschland eine Ablösungsfrage derart, wie man eine Beteiligung aus einem Unternehmen herausbekommt, ohne das Unternehmen selbst in den Ruin zu führen. Denn hier müssten entweder entsprechende Finanzmittel aus einer Firma entnommen werden oder der Anleger müsste beliebig lange am Unternehmen beteiligt bleiben. »Im Gegensatz dazu«, so Grünau weiter, »werden in den USA die Anteile mit entsprechenden Aufschlägen veräußert. Dies stört das Finanzgefüge einer Firma überhaupt nicht, denn das Geld bleibt ja drin.«

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Pluralistik der amerikanischen Venture-Capital-Szene. Während es mit der deutschen Wagnisfinanzierungs-Gesellschaft und ab Anfang 1983 mit der Firma Genes nur zwei Risikofinanzierungsgesellschaften gibt, so sind es in den Vereinigten Staaten weit über 600. Zwei wesentliche Vorteile — ein realer und ein imaginärer — resultieren daraus. Einmal bestehe durch das große Angebot und die damit verbundene Spezialisierung auf gewisse Schwerpunkte der einzelnen Venture-Capitalists für den Unternehmer die Chance, für sein Finanzierungsproblem den optimalen Partner zu finden. Zum anderen habe der Unternehmer die Möglichkeit, Vergleiche anzustellen und damit nicht mit einem Gefühl der Unsicherheit über seine Bewertung durch den Finanzpartner belastet zu sein. »Jeder Unternehmer hat das Recht, mit welcher Bewertung auch immer, unzufrieden zu sein. In Amerika habe ich die Möglichkeit, mit dieser Bewertung von einem Venture-Capitalist zum nächsten zu gehen«, erklärte Dolch diese Situation.

Trotzdem hat auch der amerikanische Venture-Capital-Markt seine Grenzen. »Eine Venture-Capital-Gesellschaft ist auch in den USA nur in ganz geringem Ausmaß bereit, eine Gründungssituation zu finanzieren«, berichtete Thomas Kühr (Genes). Kühr weiter: »Der gestandene Venture-Capitalist geht sicherlich nur zu einem geringen Prozentsatz in Geschäfte ein, die Gründungssituationen beinhalten. Er geht überwiegend in etablierte Unternehmen, die zwei, drei Jahre bestehen und auch schon bewiesen haben, dass sie einigermaßen erfolgreich wirtschaften können.« Wichtig dabei ist nach Kührs Meinung die Erfahrung, »dass Sie mit einem zweitklassigen Produkt aber mit einem erstklassigen Management in den USA mehr Chancen haben als umgekehrt.«

Im Gesprächskreis unwidersprochen bleibt die Äußerung Dr. Prommers über eine Erkenntnis, die in Deutschland noch nicht sehr ausgeprägt scheint: »Der Unternehmer muss erkennen, dass der Partner fähig ist, einen Beitrag zu leisten, zu dem er selbst nicht in der Lage ist. Das ist eine Erkenntnis, die in Amerika sehr gut funktioniert. Dass häufig die Venture-Finanziers auch Unternehmer waren oder zum Teil noch sind, widerspricht dem gar nicht, denn sie sehen sich dann beide auch in diesen unterschiedlichen Rollen«

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