Artikel: Das Erfinderzentrum Norddeutschland lernt laufen

Das Erfinderzentrum Norddeutschland (EZN) zählt heute hierzulande zu den renommiertesten und einflussreichsten Fördergesellschaften. Der Kryptographiechip (EC-Karte) oder das Sandstreugerät, das ICE-Züge bei 300 km/h zum Bremsen bringt, sind nur zwei höchst erfolgreiche Beispiele die vom EZN gefördert wurden. Im Gespräch mit dem damaligen Leiter Lothar Schaar, beschreibt Eduard Heilmayr, seiner Zeit Markt & Technik Redakteur, die ersten Jahre des 1981 gegründeten EZN, die gesetzten Ziele, die Finanzierung der Gesellschaft und die Bewertungsmaßstäbe für Erfindungen. Außerdem lernt der Leser wie komplex der Weg von der Idee bis zur Marktreife sein kann und wie das EZN die Erfinder auf diesen oft steinigen Weg unterstützte.

»Erfindungen erfolgreich zu verwerten wird immer schwieriger — gegen den Konkurrenzdruck von Großunternehmen mit riesigen Entwicklungsabteilungen und die immer größer werdende Informationsnot. Die Vielzahl staatlicher Förderprogramme, Probleme bei der Beschaffung von Informationen und Risikokapital sowie bürokratische Hemmnisse haben schon so manchen findigen Kopf verzweifeln lassen. Hier braucht der Erfinder Hilfe.« (Zitat aus einer Informationsbroschüre des Erfinderzentrum Norddeutschland, kurz EZN.) Was ist das Erfinderzentrum? Welche konkrete Hilfestellung kann es einem »findigen Kopf« bieten und welche Voraussetzungen muss ein Erfinder mitbringen um in den Genuss einer möglichen Hilfsleistung zu kommen? Markt & Technik sprach mit dem Leiter des Erfinderzentrums Norddeutschland Lothar Schaar.

Im Rahmen des Technologieprogramms Niedersachsen und seit dem 1. Juni 1983 mit Beteiligung des Landes Schleswig-Holsteins ist es die Aufgabe des Erfinderzentrum Norddeutschlands, Erfindern aus den Bereichen der Wissenschaft, der Wirtschaft und privaten Erfindern hilfreich zur Seite zu stehen«, umschreibt Lothar Schaar die globalen Zielgruppen des EZN. Erste Voraussetzung für eine Unterstützung des EZN sei jedoch der »Erfinder als Person« mit definierter Erfindung. Dies bedeutet, dass Unternehmen nicht vom EZN beraten, betreut oder finanziell unterstützt werden. »Wohl aber Arbeitnehmer mit freigegebenen Erfindungen, Unternehmer mit kleinen Betrieben, Einzelerfinder, Inhaber von Handwerksbetrieben oder Wissenschaftler an Hochschulen«, definiert Schaar mögliche Förderungsberichtigte noch einmal genauer.

Welche Möglichkeiten stehen dem EZN zur Erfüllung der gesteckten Ziele und Aufgaben zur Verfügung? Zur Beantwortung dieser Frage beginnt Schaar bei der Gründung: »Wir haben 1981 mit vier Mitarbeitern angefangen, von denen zwei wissenschaftliche Aufgaben erfüllten. In der Zwischenzeit sind wir acht Leute. Und Anfang nächsten Jahres werden wir voraussichtlich zehn bis zwölf Mitarbeiter aufweisen, die ein solches Erfinderzentrum als Mindestpersonalbestand auch braucht.« Jeder wissenschaftliche Mitarbeiter betreue dabei vorrangig diejenigen speziellen Schwerpunkte, wie beispielsweise die Mechanik, Elektrotechnik, Elektronik oder Medizintechnik, für die er aufgrund seiner Ausbildung und vorausgegangenen beruflichen Erfahrungen auch besonders qualifiziert sei, erklärt Schaar nicht ohne Stolz. Trotzdem könne es natürlich vorkommen, dass zur Beurteilung einer eingereichten Erfindung das »Inhouse-Know-how« des EZN nicht ausreicht, gibt Schaar unumwunden zu. Für solche Fälle habe man in der Zwischenzeit eine Reihe von externen Experten gefunden, die auf offene Fragen sehr detaillierte und kompetente Antworten geben könnten.

Finanziert wird das EZN ausschließlich durch die beiden Wirtschaftsministerien der Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Die Frauenhofer-Gesellschaft ist damit beauftragt worden, das Erfinderzentrum aufzubauen und zu betreiben. Zwar werde die Frauenhofer-Gesellschaft aus Bundes und Ländermittel finanziert, wobei zirka 60 Prozent die Gesellschaft selbst verdient und nur etwa 40 Prozent aus Zuschussmittel aufgebracht werden müssen, von denen wiederum 90 Prozent vom Bund stammen, erklärt Schaar die etwas komplizierten Zusammenhänge, aber das Erfinderzentrum Norddeutschland werde nicht »aus diesem Topf finanziert«. »Die FhG bekommt sämtliche für uns aufgewendeten Mittel aus dem niedersächsischen und schleswig-holsteinschen Haushalt erstattet. Ganz im Gegenteil«, führt Schaar weiter aus, »für uns betreffende Verwaltungsaufgaben wird die FhG zusätzlich honoriert.«

Den Grund für die etwas verwirrende Konstruktion sieht Schaar in der »klugen Einschätzung der landeseigenen Inkompetenz in der Zeit vor 1981 auf diesem Gebiet«. Es habe bis Ende der 70er Jahre keine nennenswerte Erfinderförderung dieser stark regional bezogenen Art in Deutschland gegeben. Die meiste Erfahrung auf diesem Sektor hat nach Schaars Meinung die Frauenhofer-Ge- sellschaft. »Deshalb ist die FhG beauftragt worden, die Grundkonzeption für das Erfinderzentrum zu entwickeln.«

Die Finanzausstattung beträgt für die Projektlaufzeit, die kürzlich von Frau Birgit Breul, Niedersachsens Minister für Wirtschaft und Verkehr, bis Ende 1986 in Aussicht gestellt worden ist, 6,5 Millionen Mark, beschreibt Schaar seinen finanziellen Spielraum. »Dies mag als Gesamtfördervolumen vielleicht etwas knapp erscheinen, besonders wenn man noch unseren Haushalt von etwa 750000 Mark abzieht, aber dem ist nicht so.« Schaar erklärt den Grund: »Zur Durchsetzung von Erfindungen, deren Substanz in ein Forschungs- und Entwicklungsprojekt einmünden, brauchen wir beispielsweise zur Funktionsdarstellung, zum Bau eines Prototyps, nicht unbedingt unsere eigenen Fördermittel einsetzen. Hier greift auf Empfehlung des EZN die Projektförderung der Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein, sodass die 6,5 Millionen nicht alle uns zur Verfügung stehenden Mittel umfassen.«

Das EZN unterstütze mit den vorhandenen Mitteln den gesamten Problemkomplex einer Erfindung: »Von der ersten Formulierung bis hin zur Verwertung«, das sei der umfassende Wirkungskreis des EZN, erklärt Schaar. So werden beispielsweise im Einzelfall bis zu 50.000 Mark, »und wenn notwendig auch mehr«, allein für die Schutzrechtsicherung einer Erfindung ausgegeben. »Das sind natürlich internationale Schutzrechtbemühungen, die Kosten für eine nationale Anmeldung liegen in der Regel zwischen 3.000 und 5.000 Mark«. Schaar weiter: »Dafür haben wir im Haushalt jährlich etwa eine Viertel Million vorgesehen«. Für die Funktionsdarstellung einer Erfindung, beispielsweise durch den Bau eines Modells, oder für die Fertigung eines Prototypen stehen im EZN-Haushalt »mehrere Hunderttausend Mark zur Verfügung«.

Das Erfinderzentrum Norddeutschland fördert Erfindungen aus allen technischen Bereichen. Dabei sollen vorrangig niedersächsische oder schleswig-holsteinische Erfinderinteressen vertreten werden. Der »Geförderte« sollte seinen Sitz in einem der beiden Länder haben. »Wobei wir nicht streng an diesen Grenzen Halt machen«, so Schaar, »wenn außerhalb Niedersachsens oder Schleswig- Holsteins eine Erfindung auftaucht, die für beide Länder interessant sein könnte, so werden wir mit angemessenen Mitteln auch diese Erfindung fördern. Denn es ist für uns genauso interessant, innovative Technologien in die beiden Länder hineinzubekommen, wie die eigenen Ideen hier zu verwerten.« Was natürlich nicht geht«, verdeutlicht Schaar, »ist, dass das norddeutsche Erfinderzentrum beispielsweise einen bayerischen Erfinder fördert, der in Baden-Württemberg verwertet.«

Die Hilfe des Erfinderzentrums kann in Anspruch genommen werden, wenn die technische Anwendbarkeit sicher, die Neuheit und die wirtschaftliche Bedeutung der Neuentwicklung wahrscheinlich sind. Voraussetzung: Ohne finanzielle und technische Hilfe des EZN ist eine erfolgreiche Verwertung nicht zu erwarten. Das heißt so Schaar, »der Erfinder kann seine Idee nicht mit eigenen finanziellen Mitteln realisieren«. »Wenn man aber bedenkt, dass eine Verwertung einer Erfindung mittlerer Güte zwischen 200.000 Mark und 400.000 Mark kostet, dann kann man sich vorstellen, dass an dieser Forderung kaum jemand scheitert.«

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In einer formlosen schriftlichen Eingabe sollte der Erfinder seine Idee konkretisieren. Er sollte darstellen, was er als neue Idee für sich beansprucht, welchen Stand der Technik er kennt und wo technisch-wirtschaftliche Vorteile bei der Anwendung seiner Erfindung liegen. »Wenn das Projekt interessant erscheint, folgt als nächster Schritt immer ein Gespräch mit dem Erfinder«, so Schaar. In diesem Gespräch werden die ersten Grundzüge einer Verwertungsstrategie erarbeitet. Hierbei werde auch die Zustimmung vom Erfinder über die gemeinsame Vorgehensweise eingeholt.

»Bei der Bewertung eines eingehenden Projektes gehen wir systematisch nach Prioritäten vor.« Unter diesem Gesichtspunkt wendet das EZN vier Bewertungsschritte in folgender Reihenfolge an: 1. Verstößt die Erfindung gegen physikalische Grundgesetze? 2. Lässt sich die physikalisch richtige Idee mit ingenieurmäßigen Mittel realisieren? 3. Überprüfung der Neuheit, aber nicht im patentrechtlichem Sinne, sondern nach dem Kriterium, ist die Erfindung neu genug, damit sie auf dem Markt Anreize bietet 4. Analyse der Wirtschaftlichkeit.

»Wenn all diese Kriterien er füllt werden, physikalisch einwandfrei, technisch darstellbar, mit hoher Wahrscheinlichkeit neu und wirtschaftlich, dann fördern wir«, erläutert Schaar, »mit ausreichend finanziellem Aufwand und viel Zeit für Beratungs- und Betreuungsstunden«.

Die Beratung und Betreuung sind bis zum Förderbeginn für den Erfinder kostenlos. Erst dann soll er etwa 25 Prozent der Schutzrechtskosten tragen, »und bei der Funktionsdarstellung soll er den Betrag beisteuern, den er ohne Beeinträchtigung seiner wirtschaftlichen Situation verkraften kann«. Hier habe man, so Schaar, auch genügend Spielräume, die nicht von bürokratischen Vorschriften eingeengt werden. Aber eine finanzielle Beteiligung des Erfinders sei notwendig, damit, wie Schaar aus früheren Erfahrungen weiß, kein Missbrauch mit den Fördergeldern getrieben werden könne. »Wir haben gelernt, wenn wir schon mit den Erfindern zusammen ein Team bilden — und anders geht es nicht — dann müssen Rechte und Pflichten angemessen verteilt werden.«

Bisher nahm das EZN etwa 2000 Anfragen entgegen. Davon waren zirka 1250 hinreichend konkret, zieht Schaar Bilanz. »Aus dem privaten Bereich kommen etwa 70 Prozent der Erfindungen, 25 Prozent aus dem Bereich von Unternehmen und die Wissenschaft beteiligt sich mit steigender Tendenz mit 5 Prozent«, vermerkt Schaar. Von den 1250 zur Bearbeitung gelangten Anträgen stammen 440 aus der Mechanik (65 Prozent), aus der Elektrotechnik 72 Erfindungen (10 Prozent), aus den Bereichen Medizin, Biologie, Chemie und Landwirtschaft stammt noch einmal die gleiche Anzahl und hinzu kommen noch einmal 133 sonstige Erfindungen, sodass diese Erfindungen insgesamt noch einmal 25 Prozent ausmachen.

Von den aufgelisteten Erfindungen weisen laut Schaar 16 eine »fundamentale Substanz auf, — also etwa 1,3 Prozent«. Weitere 20, oder 1,6 Prozent, werden durch die Finanzierung der Schutzrechte gefördert. Zusätzlich werden im EZN noch 50 Projekte betreut, aber derzeit noch nicht nennenswert finanziell unterstützt. »Die 16 herausragenden Erfindungen kommen von 12 Erfindern, acht aus dem Bereich der selbständigen Unternehmer, zwei aus der Wissenschaft und zwei aus dem privaten Bereich«, berichtet Schaar weiter. An den 20 Schutzrechtförderungen seien 10 Unternehmer, 5 Wissenschaftler und 5 Privatleute beteiligt. Schaar: »Es hat sich gezeigt, dass der größte Anteil der interessantesten Erfindungen bisher aus der mittelständischen Industrie kommt.«

Ein guter Erfinder weist nach Schaars Erfahrungen folgende drei Eigenschaften auf: 1. Die Begabung, kreativ zu arbeiten und selbstkritisch zu denken 2. die Kenntnis von wirtschaftlich-technischen Problemen und 3. die Ausbildung, um diese Probleme lösen zu können.

Diese Eigenschaften könnten im handwerklichen oder wissenschaftlichen Bereich liegen, »aber ohne diese drei Bedingungen kommen einfach keine guten Erfindungen zustande«, meint Schaar. »Die relativ gering erscheinende Ausbeute bei den privaten Erfindungen liegt nicht etwa daran, dass diese Leute nicht enorm kreativ sind, sondern daran, dass sie nur selten mit technisch-wirtschaftlichen Problemen industrieller Art konfrontiert werden.«

Den zeitlichen Ablauf zur Durchsetzung einer Erfindung gliedert Schaar in vier Phasen:

  1. Schutzrechtphase,
  2. Funktionsdarstellungsphase,
  3. Akquisitionsphase,
  4. Realisierungsphase.

In jeder dieser Phasen treten, nach Schaars Erfahrung, unterschiedlich gewichtet, fachliche und finanzielle Probleme auf. In der Schutzrechtphase, so Schaar genauer, werfe die fachliche Behandlung keinerlei Probleme auf, denn hier gäbe es genügend kompetente Patentanwälte. Die finanzielle Frage spiele hier auch keine erhebliche Rolle, denn gemessen an anderen Kosten seien die Aufwendungen hier relativ gering.

Finanziell sehr problematisch hingegen ist laut Schaar die Funktionsdarstellungsphase. »Hier müssen selbst bei relativ einfachen Dingen 100.000 Mark oder mehr aufgebracht werden.« Auch fachlich treten hier sehr häufig große Schwierigkeiten auf, denn bei der Funktionsdarstellung gelte es auf der Basis konstruktiv fundierten Grundlagen, beispielsweise auch einen Kaufmann oder Juristen von der Erfindung zu überzeugen.

Bei der Akquisition, also der Suche und dem Anbieten der Erfindung an interessierte Personen oder Unternehmen, spielen nach Schaars Aussage finanzielle Probleme keine große Rolle. Fachlich werden aber hier häufig Fehler gemacht, zum Beispiel, »dass die Erfindungen einem Außenstehenden angeboten werden, bevor sie in angemessener Form geschützt sind«.

Beim letzten Punkt, der Realisierungsphase, können fachlich schwerwiegende Fehler gemacht werden. Schaar nennt ein Beispiel: »Bei den Lizenzverträgen, die etwa mit Industrieunternehmen abgeschlossen werden, gibt es kaum Erfinder, die das Vertragsrecht so beherrschen, dass sie nicht benachteiligt werden könnten.«

Hier könne man den juristischen Abteilungen der Industrieunternehmen eigentlich keinen Vorwurf machen, denn sie müssen die Interessen ihres Unternehmens vertreten und nicht die des Erfinders, so Schaar. Ebenfalls sei das finanzielle Risiko in der Realisierungsphase erheblich. »Muss nämlich ein eigenes Vertriebssystem erst aufgebaut werden, werden die Kosten und der Zeitaufwand dafür von dem häufig nur technisch-kreativ tätigen Erfinder meist falsch oder überhaupt nicht eingeschätzt.« Schaar: »Deshalb betrachte ich die Realisierungsphase genau wie die Phase der Funktionsdarstellung von der fachlichen und finanziellen Seite her als sehr problematisch. Hier werden zum Teil Maßnahmen ergriffen, die existenzgefährdend sind.«

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