Der ausführliche Bericht von Eduard Heilmayr, damaliger Redakteur bei Markt & Technik, über das Microtronic-Forum der CeBit 1984 in Hannover. Unter dem Motto »Chance Mikroelektronik« diskutierten wichtige Player im Bereich der Geräte- und Halbleiterhersteller über die immensen Chancen der Mikroelektronik für die industrielle Entwicklung in der BRD. Auch Herausforderungen, wie Vorbehalte gegenüber neuer Technologie, Defizite im Ausbildungsbereich oder veränderte Anforderungen in der Produktforschung, wurden 1984 thematisiert.
»Chance Mikroelektronik« – unter dieses Motto stellten die Veranstalter ein vielbeachtetes Microtronic-Forum auf der Hannover-Messe. Führende Industriemanager, Halbleiterhersteller und -anwender, diskutierten unter der Gesprächsleitung von Prof. Dr.-lng. Eduard Prestel, ehemaliger Niedersächsischer Minister für Wirtschaft und Kunst, über die Notwendigkeit eines breiten Einsatzes der Mikroelektronik. »Die Bundesrepublik ist endlich auf dem richtigen Weg«, so das Fazit der Gesprächsrunde, jedoch müssen noch große Anstrengungen unternommen werden, um die Zusammenarbeit zwischen Geräteherstellern und Halbleiterherstellern zu verstärken sowie die Ausbildung in Schulen und in den Unternehmen wesentlich zu verbessern.
Mikroelektronik ist und bleibt Schrittmacher der industriellen Entwicklung, die sich gegenwärtig weltweit im Aufwärtstrend befindet.« Mit dieser positiven Einschätzung über die Rolle der Mikroelektronik in der Weltwirtschaft beginnt Friedrich A. Lohmann, Direktor der Philips-GmbH und Leiter von Valvo in Hamburg, seine Ausführungen. Erfreulich sei, so Lohmann weiter, dass sich auch in der Bundesrepublik das Tempo erhöht habe, mit dem Mikroelektronik in immer mehr Industriezweigen zur Schlüsselkomponente werde. Lohmann: »Dreißig Prozent unseres produzierenden Bruttosozialproduktes hängen direkt von Industriezweigen ab, deren Produkte einen ständig steigenden Durchdringungsgrad mit Mikroelektronik zu verzeichnen haben.«
Diese Industriezweige sind vor allen Dingen die Kommunikationstechnik, der Maschinenbau, die Feinmechanik, Optik und immer stärker der Automobilbau. »Sie sind Zugpferde unseres Exports. Ohne sie wären wir ein Netto-Importland und nicht ein Netto-Exportland«, beschreibt Lohmann noch einmal eindringlich die Bedeutung der Mikroelektronik in Deutschland.
Lohman stellt klar, dass die Entwicklung modernster Geräte mit intelligenter Systemtechnik immer mehr den Einsatz von hochkomplexer Mikroelektronik erfordert. Gleichzeitig ist damit eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den Geräteherstellern als Träger des System-Know-hows und den Bauelementeherstellern als Träger des Know-hows der Basistechnologie notwendig. Es sei deshalb unabdingbar, so Lohmann weiter, dass die Hersteller der Geräte mit dem systembestimmenden Teil immer mehr in die Entwicklung von komplexen VLSI-Schaltungen einbezogen werden. »Das setzt allerdings eine sehr leistungsfähige Mikroelektronikindustrie im eigenen Lande genauso voraus, wie auch innovativ eingestellte Anwender, die diese Möglichkeiten annehmen.« Denn nur so ließe sich auf die Dauer Spitzentechnologie in Deutschland realisieren.
In diesem Zusammenhang sei vor allem erforderlich, dass Jungunternehmer und die mittelständische Industrie an die hochkomplexe Mikroelektronik herangeführt werden. Unter diesem Gesichtspunkt sieht Lehmann auch die Rolle der »Microtronic« auf der Hannover-Messe. Sie solle zwischen Anwender und Halbleiterhersteller eine Brücke schlagen, um Schwellenangst abzubauen und entscheidende Impulse zu liefern, um die notwendige Stellung der deutschen Industrie angesichts des internationalen Wettbewerbs zu sichern.
Die damit verbundene gesellschaftliche Bedeutung der Mikroelektronik vertieft Dieter Mezger, europäischer Marketing Director bei Texas Instruments in Freising. Mezger sieht die Mikroelektronik als »treibende Kraft, die gegenwärtig einen Strukturwandel von einer· überwiegend produktionsorientierten Gesellschaft zu einer Informationsgesellschaft bewirkt«. Als Begründung nennt Mezger die Tatsache, dass ein zunehmender Anteil des deutschen Bruttosozialproduktes durch die Aufnahme, Verarbeitung, Weiterleitung und die Auswertung von Informationen erzielt werde. »Ein wesentlicher Grundwerkstoff dafür, dass dieser Wandel zur Informationsgesellschaft vollzogen werden kann, ist die Mikroelektronik«, analysiert Mezger.
Trotz unbestreitbarer Erfolge gäbe es in der Bundesrepublik Bereiche, so Mezger weiter, wo wesentliche Verbesserungen nötig seien, um im internationalen Vergleich wettbewerbsfähig zu bleiben. Ein besonderes Problem bei Geräten, die Mikroelektronik als Grundwerkstoff einsetzen, sei darin zu sehen, dass die Technologie sehr rasch voranschreitet. Mezger: »Es ist nicht mehr ausreichend, einen klassischen Markt zu analysieren, ein Produkt zu spezifizieren und in zwei bis dreijähriger Arbeit zu entwickeln und zu vermarkten.« Um in diesem Markt erfolgreich bestehen zu können, müsse man sich daher auf Prognosen verlassen können. Dabei müssten sich die Anwender und Hersteller nach Mezgers Ansicht zwei Fragen stellen: »Welche Technologien stehen in einem bestimmten Zeitabschnitt zur Verfügung?« Die Beantwortung dieser Frage sei, so Mezger, in der Grundlagenforschung zu suchen. »Die Grundlagenlabors liefern derzeit genügend Informationen, um aufzuzeigen, was in den nächsten drei bis vier Jahren technologisch möglich ist.«
Schwieriger sei die zweite Frage zu beantworten, nämlich: » Welche Produkte brauchen die Kunden in den nächsten drei bis vier Jahren?« Die Lösung dieses Problems erfordere mikroelektronische Bauelemente, die die Spezifikationen eines Produktes genau treffen. »Wir haben aber auf der ganzen Welt nicht genügend Entwickler für integrierte Schaltkreise, um jedem Produkt eine optimale Bauelemente-Lösung anbieten zu können«, erklärt Mezger. Aus diesem Grunde entwickle die Halbleiterindustrie derzeit Methoden, die es ermöglichen, dass Systementwickler ihr Produkt beschreiben und ihre eigenen integrierten Schaltkreise entwickeln, ohne dass eine Ausbildung zum lC-Entwickler erforderlich ist. Voraussetzung dafür sind Workstations, die die Produktivität im Entwicklungssektor verbessern.
Den Aspekt der Schnelligkeit der Entwicklungszyklen im Bereich der Mikroelektronik vertieft noch einmal Dr. Hermann R. Franz, Leiter des Werkbereichs Halbleiter von Siemens in München und Vorstandsmitglied der Siemens-AG. Für Hersteller und Anwender der Mikroelektronik käme es darauf an, so Franz, »nicht nur sehr fit zu sein, sondern auch sehr fix zu sein«. Wichtig sei es, dass die Breite der Anwendungen in der Bundesrepublik fundierter wird. Untrennbar damit verbunden ist für Franz die Jugend, »die sich mit der Mikroelektronik auf vertrauten Fuß stellt, die sie begreift und die sie anwenden kann«.
Für Franz steht fest: »Chips geben Chancen für die Jugend, Chips geben Chancen für Arbeitsplätze.« Als Beispiele für neue Märkte, die technisch erst in Zukunft beherrscht und akzeptiert werden, nennt Franz die Bilderverarbeitung in der Medizintechnik oder die digitale Bildverarbeitung, sowohl in kommerziellen Bereichen als auch in industriellen Anwendungen. Auch Franz beschreibt noch einmal die Bedeutung von CAD-Workstations: »Sie werden zunehmend intelligenter. Allerdings darf man nicht vergessen, dass wir auch zunehmend komplexere Aufgaben zu lösen haben.« Um vor allem kleine und mittlere Unternehmen davon profitieren zu lassen, sei eine einheitliche Sprache bei den Workstations eine wesentliche Voraussetzung. Dieter Mezger berichtet in diesem Zusammenhang von einer »de facto Sprachstandardisierung, die bei Workstations in den USA durch die Halbleiterhersteller bereits erfolgt ist«.
Auf die Bedeutung der Mikroelektronik im Bereich der Mechanik weist Dr. Goll, Bereichsleiter Entwicklung der Zahnradfabrik Friedrichshafen hin. Die Mikroelektronik habe bei mechanischen Produkten wie Getrieben, Lenkungen und Achsen einen bedeutenden Anteil. Sie übernehme Aufgaben aus den Bereichen Steuerungen, Regelungen, Überwachung und Diagnose. Goll: »Die Mikroelektronik kann für sich in Anspruch nehmen, dass erst durch sie die Lösung komplexer Steuerungssysteme ermöglicht wurde.« Goll betont nochmal ausdrücklich, dass die Mikroelektronik auch bei mechanischen Produkten eine bedeutende Produktinnovation ermöglicht.
Professor Dr. Spuhr von der technischen Universität Berlin und Leiter des Frauenhofer Instituts für Werkzeuge, Maschinen und Fertigung, beschreibt die Einflüsse der Mikroelektronik im Maschinenbau. »Mit Hilfe der Mikroelektronik im Maschinenbau sind flexible Fertigungssysteme entstanden. Durch die Verknüpfung des Bearbeitungssystems mit dem Transport- und Handhabungssystem sind völlig veränderte Strukturen in der Fabrik entstanden.« Die Informationstechnik hat einen Umstrukturierungsprozess in den Fabriken eingeleitet, die weit in die Arbeitsplatzsituation hineinreichen, betont Spuhr.
Seiner Ansicht nach ergibt sich jedoch ein großes Problem in der Ausbildung: »Hier ist die Entwicklungsgeschwindigkeit wesentlich langsamer als in der Forschung und Technik.« Die Schulen, auch die Hochschulen, seien weit zurückgeblieben. Spuhr: »Man kann nicht sagen, dass die Umsetzung der technologischen Veränderungen in die Lehrstrukturen so weit fortgeschritten ist, dass wir unsere Ingenieure wirklich modern genug ausbilden.«
Ausführlich geht Harro Welzel, Vorstandsmitglied der Firma Triumph Adler und verantwortlich für Marketing und Vertrieb in Nürnberg, die Frage nach der Ausnutzung der Chancen an, die Geräte bieten, in denen Mikroelektronik eingesetzt wird. Seiner Meinung nach ergeben sich neben den klassischen Anwendungsgebieten wie Computer und CAD neue Nutzungsdimensionen, vor allem im mittleren Managementbereich.
»Der qualifizierte Sachbearbeiter in einem Unternehmen wird aktiv am Arbeitsplatz unterstützt.« Hier biete sich die Chance, dass das mittlere Management, so Welzel weiter, von Routinearbeiten entlastet werde. Ein wesentlicher Aspekt dabei sei, so Welzel, dass »die Schnittstelle zwischen Menschen und der Maschine« noch sehr viel stärker durch den Einsatz der Mikroelektronik verbessert werde. »Heute erfordert beispielsweise der Computer computerorientierte Menschen. In der Zukunft jedoch wird durch die Mikroelektronik der Computer menschenorientiert werden«, prognostiziert Welzel. In diesem Zusammenhang sei auch zu sehen, dass in Zukunft eine größere mikroelektronische Leistung bei gleichem Preis angeboten werden würde. Daraus folgen neue Funktionen wie beispielsweise effizientere Computersprachen, die eine Vereinfachung für den Benutzer zur Folge hätten. Als Beispiel nennt Welzel die Computersprache »Small Talk« in den USA. Hier ergebe sich für den Managerarbeitsplatz in der Hierarchie eine »Entwicklung von unten nach oben«, stellt Harro Welzel fest.
Auch Welzel betont nochmals die Problematik der Ausbildung. »Im volkswirtschaftlichen Interesse unseres Landes und Europas müssen wir die Ausbildung aktiv beschleunigen.« Dies gelte sowohl für den bildungspolitischen Bereich als auch für Mitarbeiter in den Unternehmen.
In diesem Zusammenhang ist auch das Fazit von Dr. Hermann R. Franz zu sehen: »Wir sind auf einem guten Weg und die Hannover-Messe ist ein Brennplatz, in dem deutlich wird, dass sich in der Bundesrepublik außerordentliche aktive Bestrebungen für den Einsatz der Mikroelektronik durchgesetzt haben – endlich!«