Artikel: Technikprognosen als Grundlage für Marketing – von Klaus P. Friebe

„Technikprognosen als Grundlage für Marketing“ von Klaus P. Friebe ist eine großartige, tiefgreifende Auseinandersetzung mit den Herausforderungen der technischen Umwälzung für Politik und Wirtschaft Mitte der 80er Jahre. Friebe erläutert unter anderem die Schwierigkeiten von präzisen Prognosen im Technologiesektor, die Notwendigkeit von bessere Qualifizierung des Personals, die Auswirkungen des technologischen Wandels auf die Unternehmensorganisation und der richtige Umgang mit Risiko. Friebe versucht auch immer adäquate Handlungsempfehlungen zu geben. Ein Artikel mit großer Substanz, der auch heute – in Zeiten noch schneller ablaufender technologischer Umwälzungsprozesse – für Entscheider im Technologiesektor von großem Wert ist.

1. Einfluss technologischer Veränderungen

Der Hauptgrund, weshalb der Einfluss neuer Technologien sowie die technologische Entwicklung im Allgemeinen auf Wirtschaft und Gesellschaft so schlecht vorausgesagt wird, liegt darin, dass wir es hier mit einem sehr komplexen und interdependenten Satz von Beziehungsfeldern zu tun haben.

Einseitige Betrachtungen aus der Sicht der Gesellschaft oder der Wirtschaft, auch wenn sie auf Expertenwissen beruhen, führen zu Fehleinschätzungen und Fehlinterpretationen. Bei der Betrachtung des Einflusses der Technologien auf Wirtschaft und Gesellschaft ist ein systemanalytisches Denken und Urteilsvermögen über die jeweiligen Spezialgebiete hinaus notwendig, um die langfristigen Auswirkungen – zum Beispiel Wachstum – zu erkennen. Die systematische Erhöhung der Geschwindigkeit des technischen Wandels bei gleichzeitiger Steigerung der Qualität der Beschäftigten ermöglicht adäquates Wirtschaftswachstum.

Die Geschwindigkeit, mit der Natur- und Technikwissenschaften neuartige Entwicklungen hervorbringen und systematisch und schnell in die jeweilige Anwendung übertragen, ist ohne effiziente Prognosewissenschaft für Gesellschaft und Wirtschaft nicht erfassbar.

2. Technologie-Prognosen

Ein erster Ansatz zur besseren Prognosefähigkeit in der Zukunft könnte die Analyse sein, warum der Einfluss von Technologie so schlecht vorausgesagt wurde. Dies würde jedoch ein Überdenken der heute verwandten und genutzten Methoden bedeuten – welcher Spezialist würde hier mitmachen?

Geschichtlich kann man feststellen, dass weltweit Ökonomen, Gesellschaftswissenschaftler sowie gesellschaftspolitische Vordenker den Einfluss sowie die Möglichkeiten, die Technologien ausüben, systematisch unterbewerten und fehleinschätzen. Karl Marx ist keine Ausnahme.

Die Gründe liegen zweifelsohne in der jeweiligen Spezialisierung sowie der fehlenden Aufgeschlossenheit gegenüber der Technik. Die Grundvoraussetzung für eine Analyse des technischen Einflusses sowie der sich daraus ergebenden Veränderungen ist ein Minimum an technischem Wissen sowie Offenheit gegenüber der Technik selbst. Der nur ordnungspolitisch orientierte Marktwirtschaftler sowie der ideologisch geprägte Planungspolitiker werden wohl nicht in der Lage sein, den Einfluss der Technik sowie die Möglichkeiten der Nutzung der Technologie adäquat zu prognostizieren.

Ein zweiter Aspekt für die Fehleinschätzung der Anwendung von Technologien und der daraus folgenden ökonomischen neuen Möglichkeiten einer technischen Neuerung ist das mangelnde Vorstellungsvermögen, in welchen Bereichen Substitutionsprozesse zum Tragen kommen und das in Gebieten, die vordergründig mit der in Betracht gezogenen Technologie oder Branche wenig zu tun haben.

Die Dampfmaschinen wurden zum Beispiel im 18. Jahrhundert vorwiegend zur Lösung der in den Kohlengruben anstehenden Wasserprobleme entwickelt, sprich als Pumpen. So hat keiner den Einfluss auf die Veränderung und neuen ökonomischen Möglichkeiten, die sie auf das Transportwesen hatten, vorausgesehen.

So gesehen könnte man hoffen, dass mit den heutigen Computersystemen nicht nur die Voraussagen qualifizierter werden, sondern auch ganz neue Wirtschaftsbereiche entstehen. Der PC-Markt ist nur ein kleiner Anfang in der Entwicklungskette zur Informationsgesellschaft. Die Auswirkungen im Bildungssystem, die heute schon die PCs bewirken, sind beachtlich, rücken doch zwei Welten – die der Phantasie und die der Realität – sehr eng zusammen. Bilder werden zur Hauptübertragungsart für Informationen. Durch die dezentrale Bearbeitung werden breiten Schichten Informationen zur Verfügung gestellt, das heißt, die Vorherrschaft durch Wissensvorsprung wird geringer, und somit entsteht eine Umschichtung der Machtverhältnisse in der Gesellschaft. Welche Auswirkungen dies auf die Unternehmen und die Organisation haben wird, ist heute schon sichtbar. Eines kann man bereits jetzt voraussagen:

Durch die Internationalisierung und Dezentralisierung der Informationsvermittlung und -verarbeitung wird ein neuer Demokratisierungsprozess in der Gesellschaft zum Tragen kommen.

Organisationsstrukturen müssten wesentlich horizontaler werden, um die Technik effektiver zu nutzen.

Persönliche Eigenschaften der Beschäftigten wie Dialog- und Konfliktfähigkeit werden zukünftig nicht nur für Manager von entscheidender Bedeutung sein, sondern ein wesentlicher Bestandteil aller werden müssen.

Eine Verbesserung der Prognosefähigkeiten oder -techniken über die Substitutionsprozesse, ausgelöst durch welche Technik auch immer, wird sich ergeben, wenn wir systematisch die auch heute schon zur Verfügung stehenden Hilfsmittel – das heißt Computersysteme – für diese Aufgabe einsetzen. Es ist zu hoffen, dass dadurch auch so manche wirtschaftspolitische Fehlinterpretation des technischen Wandels minimiert werden könnte.

Der dritte Aspekt, der besonders wichtig für das Wirtschaftsgeschehen ist, betrifft die Bedeutung der technologischen Innovationen. In der Vergangenheit wurde bei den Prognosen über die Wirtschaftsveränderung der Einfluss technologischer Innovationen auf die Überwindung von ökonomischen Engpässen und Problemlösungen sehr selten berücksichtigt. Besonders auffällig ist, dass bei der Betrachtung spezifischer Engpässe bei den natürlichen Ressourcen eines Landes, die durch technologische Innovationen eliminiert werden, wenig nachgedacht wurde. Diese Tatsache wurde und wird bei der ökonomischen Betrachtung des wirtschaftlichen Entwicklungsprozesses systematisch vernachlässigt, bestenfalls unterbewertet. Dabei besitzen natürliche Ressourcen nur ökonomische Bedeutung, wenn technisches Wissen zu ihrer Nutzung vorhanden ist. Eine Erhöhung dieses technischen Wissens ist äquivalent zur Ressource und führt zur Expansion der auf der jeweiligen Ressource basierenden Ökonomie. Als Beispiel könnte hier die immense Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion genannt werden, die erst durch die Technologisierung zu der heutigen Blüte geführt hat.

Wir haben uns in der Vergangenheit vorwiegend mit technologischen Entwicklungen und deren Auswirkungen, die im Bereich der Kraft- und Energienutzung Substitutionsprozesse auslösten, beschäftigt. Daher fällt es der Mehrzahl von Spezialisten und Prognostikern schwer, sich in die dritte Welle des Subversionsprozesses, in dem wir uns heute befinden, einzuarbeiten, diesen wahrzunehmen und dem Bereich der Informationsverarbeitung den adäquaten ökonomischen Stellenwert zu geben.

Der deutsche Maschinenbau, eine Stütze des deutschen Exports, wäre ohne die breite Nutzung der Mikroelektronik in den letzten zehn Jahren nicht in der Lage gewesen, die Weltstandard zu halten und die internationale Konkurrenzfähigkeit zu steigern. Besonders im Maschinenbau wurde durch die Nutzung der Mikroelektronik – nicht global, jedoch unternehmensbezogen – die Prognostizierungsfähigkeit der Absatzmärkte der Unternehmen und der daraus folgenden Zwänge für das Unternehmen wesentlich verbessert. Bei der Dynamik der Strukturveränderung im deutschen Maschinenbau lässt sich die Bedeutung des vierten Produktionsfaktors Information erkennen.

Der vierte Aspekt, warum technologische Entwicklungen schwer als treibende Kraft ökonomischer Entwicklungen erkannt werden, liegt darin, dass am Anfang einer technologischen Neuerung die Voraussetzungen gegenüber existierenden Technologien und Techniken schlechter beurteilt werden, das heißt hohe Kosten, schlechter Wirkungsgrad, hohe Unsicherheit, geringe Verfügbarkeit. Aus diesen Gründen wird der Einfluss der jeweiligen Technik oder Technologie für Produkte und Verfahren, die auch von ökonomischer Bedeutung sind, nicht genügend analysiert und damit auch prognostisch nicht erkannt und erfasst. Die neue Technologie sucht sich neue Anwendungsfelder, die es erlauben, mit neuen Ansätzen alte Probleme einfacher und kostengünstiger zu lösen, die meist nicht in dem gleichen, sehr bekannten und transparenten Wirtschaftszweig möglich sind. Dies geht meistens Hand in Hand mit einer Verbreiterung des Marktes. Die Einführung von Transistoren brachte zum Beispiel das Radio und den Fernsehapparat für jedermann.

Die Erfahrung zeigt, dass die meisten Experten nur bei kontinuierlicher Entwicklung einer Technologie, das heißt im letzten Drittel der Entwicklung, adäquate Prognosen stellen, die eine Aussagekraft von ökonomischer Bedeutung über Technologie haben. Am Anfang jeder Technologieeinführung entstehen diskontinuierliche Entwicklungsprozesse, die charakteristisch für die technologischen Neuerungen sind. Insbesondere am Anfang und bei der Einführung ist es vielen Experten, die auf der Basis ihres Spezialwissens versuchen, Prognosen zu erstellen, nicht möglich, die Entwicklung zu bewerten. Leider hat dieser Gesichtspunkt, insbesondere bei gesellschaftspolitischen Prognostikern in der Bundesrepublik Deutschland, nur wenig Berücksichtigung gefunden. Wie sonst kann man sich eine Reihe von Fehlentwicklungen, insbesondere im sozialpolitischen Bereich, erklären.

Zu bemerken ist, dass diskontinuierliche Prozesse bei der Einführung neuer Technologien nicht nur das gesellschaftliche oder das betriebliche Harmoniebedürfnis stören, sondern auch im technischen Bereich Probleme aufwerfen und bei Nichtbeachtung oder Berücksichtigung technischer Neuerungen schnell auch das ökonomische Aus für eine Idee bedeuten. Eine verbesserte Prognosetechnik, gerade in diesem Bereich, wäre von größter wirtschaftlicher Bedeutung, insbesondere für die KMUs (kleine und mittlere Unternehmen), da die Ressourcen an qualifizierten Mitarbeitern für diese Unternehmensgruppe einen Engpass darstellen, der sich nicht leicht beseitigen lässt.

3. Auswirkungen auf Personal und Qualifikation

Die Auswirkungen einer neuen Technologie können nicht nur aus der Sicht technischer Verbesserungen oder deren Nutzen gesehen werden. Es müssen ökonomische und gesellschaftlich relevante Aspekte mit analysiert werden, um deren Bedeutung zu erkennen und zu bewerten. Die Betrachtung der Auswirkungen einer Technologie auf der Basis der durch sie erzeugten Hardware reicht nicht aus. Es müssen auch die sozialen und kulturellen Aspekte mit in die Betrachtung einbezogen werden, da es von den Formen, wie und mit welcher Intension die Gesellschaft eine Technologie nutzen will, abhängt, um zu sehen, welche ökonomischen Perspektiven sich daraus ergeben. Dieser Aspekt ist besonders von Bedeutung bei der Diskussion der Frage, inwieweit Technologien – insbesondere die Mikroelektronik – arbeitssparende Effekte bei deren Nutzung auslösen.

Zu unterscheiden ist hier zwischen den aufwandsparenden Innovationen, der Elimination von spezifischen Aufgaben, und den arbeitsplatzreduzierenden Innovationen, die diesen durch technische Innovation ausgesetzt wird. Besonders wenn es sich um Wirtschaftsbereiche handelt, die einem starken internationalen Wettbewerb ausgesetzt sind, können Prognosen über die Auswirkungen aus Spezialistensicht zu Fehlentwicklungen führen, die sowohl betriebliche als auch branchenweite Aktionen auslösen, die nicht reversibel sind und somit zu einem ökonomischen Aus führen, wie zum Beispiel die Diskussion um die 35-Stunden-Woche für alle, ohne auf die Qualifizierungsdefizite hinzuweisen.

Es ist schwer vorauszusehen, welche Bereiche der Beschäftigung technische Neuerungen am stärksten verändern, jedoch besteht eindeutig ein Zusammenhang zu der jeweiligen Qualifizierung der Beschäftigten. Für die Informationstechnik im Allgemeinen lässt sich sagen, dass wenn eine Aufgabe strukturierbar ist – und in Zukunft werden es immer mehr sein – , so wird dieselbe durch den Einsatz der Technik, sprich Gerät und Software, übernehmbar sein. Andererseits sind es die nicht strukturierbaren Aufgaben, die arbeitsplatzbeschaffende oder arbeitsplatzerhaltende Aspekte aufweisen. Voraussetzung jedoch ist, dass die adäquate Qualifizierung vorhanden ist oder die Bereitschaft zu deren Erlangung. Hier zu qualifizieren, bringt den optimalen Output. Die Erfahrungen zeigen jedoch – insbesondere in der Qualifizierungskampagne der Bundesrepublik Deutschland, dass die Aktivitäten in der heutigen Form mit der Art der Weiter- bzw. Umqualifizierung zukünftig stark dem Bereich der strukturierbaren Aufgaben zuzurechnen sind. Aus diesem Grund sind vielfach Ergebnisse dieser Maßnahmen heute nur mit geringen Erfolgen zu bewerten. Besonders, wenn wir die in den 60er und 70er Jahren verlagerten Produktionskapazitäten in die Billiglohnländer, in die Bunddesrepublik zurücktransferieren wollen, ist es zwingend notwendig, die durch die Automatisierung unserer Produktion strukturierbaren Aufgaben weitgehend technologisch zu lösen.

Hier zeigt sich, dass die Qualifizierungs- und Bildungsdiskussionen – unabhängig von der Technik – schlicht und einfach nicht möglich sind und zu falschen Entscheidungen sowie Maßnahmen führen.

Die heutige Diskussion zur Qualifizierung und Bildung scheint mehr von der halbgebildeten Geisteswissenschaft dominiert zu sein, die glaubt, dass ohne Beachtung der Technik kulturelles Leben, Wohlstand und zivilisatorische Weiterentwicklung möglich sind. Bildung und Ausbildung muss mehr sein als eine Träumerei über abendländische Werte, die meist zusammenhanglos einer Betrachtung unterzogen werden. Sie muss sich an den Elementen eines rationalen Lebens orientieren, sprich Kultur.

Die notwendige Steigerung der Qualifizierung im Bereich der Wirtschaft wird durch die ökonomischen Zwänge, oft unabhängig von gesellschaftspolitischen Träumen, gelöst. Durch den Einsatz der Mikroelektronik und der daraus entstehenden ökonomischen Bedeutung der Informationstechnik (Information als vierter Produktionsfaktor) ist ein beschleunigter Effekt zu verzeichnen, der heute regionale, geschichtlich gewachsene oder politisch opportune Systeme in Frage stellt. Anders als im Bereich der Wirtschaft und der Technik ist im Bereich der Gesellschaftspolitik eine Lösung der Qualifizierungsfragen aus einer realistischen Sicht der zukünftigen Entwicklung nicht erkennbar. Besonders die Struktur des Bildungssystems und die damit Hand in Hand gehenden Privilegien und Positionen werden – insbesondere, was die Bundesrepublik Deutschlang betrifft – zukünftig durch den technischen Wandel hervorgerufene notwendige Anpassungen verzögern. Das breite, fehlende technische Wissen und die fehlende Akzeptanz der Technik führen dazu, dass oft emotionale und nicht rationale Gesichtspunkte in den Diskussionen und Entscheidungen überwiegen und somit die Chancen aus dem technologischen Wandel nicht genügend genutzt werden. Dieser Gesichtspunkt ist besonders interessant bei der Betrachtung der Bereiche in der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland, die noch nicht voll durch den technologischen Wandel erfasst sind. Andererseits wird zu oft die notwendige Technologie für eine wirtschaftliche Entwicklung als etwas Selbstverständliches vorausgesetzt, ohne zu beachten, dass man langfristig Technologien auf nationaler wie auf Unternehmensebene nur erfolgreich entwickeln kann, wenn man sie auch plant und die ständigen Anpassungsschwierigkeiten einkalkuliert.

Der einzige Weg, um ein langfristiges, stabiles Wirtschaftswachstum oder Wachstum insgesamt einer Gesellschaft zu erreichen, ist der Zwang zur Erhöhung der Geschwindigkeit der Nutzung der Möglichkeiten, die im technischen Wandel liegen. Oft jedoch werden die ökonomischen Möglichkeiten, die durch die Nutzung neuer Technologien erreichbar wären, nicht wahrgenommen, besonders aufgrund fehlender oder verzögerter Entscheidungen bezüglich der adäquaten Investitionen. Hier ist ein neues, zu entwickelndes Zusammenspiel zwischen Unternehmen, Banken und Staat zwingend notwendig, damit das Potential, dass die jeweilige Technologie inne hat, genutzt werden kann, denn die heutige internationale Situation der Nutzung von Technologien lässt keine Insellösung zu.

Besondere Aufmerksamkeit für die Entwicklung von Strategien zur Nutzung des technischen Wandels ist auf die Bereiche, in denen sich dieser Wandel vollzieht, zu legen. Zu unterscheiden dabei ist zwischen: produktrelevanten Strategien des technologischen Wandels, technologierelevantes Strategien des technologischen Wandels und innovationsrelevanten Strategien des technologischen Wandels.

Entsprechend der jeweiligen Relevanz sind dann auch die Methoden und Zeiträume zu beachten sowie die Intensität, in der sich der Wandel vollzieht, wobei die drei unterschiedlichen Strategien in der Gesamtheit eine Einheit bilden sollten. Parallellösungen, die wir heute leider noch zu oft antreffen, sowohl im Unternehmen wie im Staat, sind selten ein Ansatz, um aus dem technischen Wandel adäquaten Nutzen zu ziehen. Besondere Berücksichtigung jedoch sollten die substitionsbezogenen Aspekte sowie die produktionssteigernden Aspekte bei der neuen Technologie finden. Bei der Entwicklung von Strategien, besonders im Produktionsbereich (PM), ist auf die Anwendung der neuen Technologien, die eine Bypassform entwickeln, zu achten. Zum Beispiel die mechanischen Rechenmaschinenhersteller in den 70er Jahren haben zu spät das Entstehen neuer Industrien, die auf der Basis der Mikroelektronik Tischrechner herstellten, erkannt. Firmen, die diesen Mechanismus der Bypassprodukte neuer Technologien nicht beachten, sind nur noch begrenzt lebensfähig.

4. Auswirkungen auf die Organisation

Beachtet man den Einfluss des technologischen Wandels auf die unterschiedlichen Bereiche der Wirtschaft, so kann man unter Berücksichtigung der Produktivitätsrate feststellen, dass die Unternehmen am erfolgreichsten sind, die auch effektiv neue Technologien einsetzen; und dabei gewinnen sie noch an Flexibilität im Markt.

Da jedoch jeder Einsatz von Technologien, insbesondere im frühen Stadium, nicht ohne Risiko ist, müssen Methoden und Organisationsformen gefunden werden, die diese Risiken einbeziehen. Das heißt: Wir müssen lernen, das technologische Risiko entsprechend der jeweiligen Phase der Anwendung, in der man sich befindet, zu handhaben. Dadurch gewinnt man natürlich beim erfolgreichen Einsatz der Technologien einen Vorsprung vor der Konkurrenz im Markt, wobei oft die Markterfolge, die einen jahrzehntelangen Vorsprung gewähren, nicht von Bedeutung sind, sondern die, die einen 5-Prozent-Effekt vor der Konkurrenz haben. Es sind die, die ein gesundes Wachstum ermöglichen. Hat ein Unternehmen eine risikobewusste Unternehmenskultur entwickelt, so ist ein wesentlicher Schritt zur Nutzung des im technologischen Wandel steckenden Potentials getan.

Die damit Hand in Hand gehende Produktivitätssteigerung auf der Basis neuer Technologien muss ebenfalls in einer den jeweiligen Technologien entsprechenden Form im Unternehmen organisiert sein.

Die Erfahrung in der Bundesrepublik Deutschland beim Einsatz der Mikroelektronik zeigte, dass die Unternehmen am erfolgreichsten sind, die die Möglichkeiten der Mikroelektronik frühestmöglich nutzen, das heißt, die die oben genannten Ansätze in ihren Unternehmenskulturen hatten. Dazu kam deren Dialogfähigkeit nach außen – zu Wissenschaftlern – bei gleichzeitiger Konfliktfähigkeit nach innen, wenn es um die Entscheidung ging, mit dem Wandel notwendige Strukturveränderungen mitzugestalten, bis hin zum Abbau von Privilegien und Beschäftigung.

Das Risikoverhalten im Unternehmen wird abhängig sein müssen von der Strategie, die das Unternehmen für die Nutzung der jeweiligen Technologie hat. Zum Beispiel ist für die Halbleiterindustrie (HL) durch deren immer höher werdenden Investitionen ein anderes Risikoverhalten gefordert als bei der Einführung des Massenproduktes im Konsumelektronik-Sektor, wo es zum Beispiel um kostenreduzierende Effekte geht.

Das dynamische Konkurrenzverhalten eines Unternehmens erfordert die Entwicklung besserer oder weniger teurer Alternativen. Dieses jedoch erfordert, dass man Risiken eingeht, die die Unsicherheit in sich bergen, ob der gewählte Weg auch zu dem gewünschten Ziel führen wird. Nicht jedes Risiko wird von Erfolg gekrönt. Dennoch bedarf es der Erfahrung, mit dem Risiko umzugehen, um zukünftig erfolgreich die Möglichkeiten des Wandels zu nutzen.

Das dynamische Konkurrenzverhaltensmodell von Burton H. Klein stellt das Verhältnis des Grades der wettbewerbsorientierten Risikoentscheidung bis hin zur technologischen Veränderungsrate, die im jeweiligen Bereich vorzunehmen ist, dar. Benutzt man sie zu einer Analyse von Unternehmen, so ergibt sich folgendes Bild:

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5. Umgang mit dem Risiko

Die Nutzung einer Technologie allein stellt selten den gewünschten Erfolg dar, es ist immer eine Kombination von Technologien, die bei der Risikoabschätzung zu beachten sind. Das jedoch bedingt ein funktionierendes Technologiemanagement (TM) im Unternehmen, das durch Risikoentscheidungen ein vorgezeichnetes, notwendiges und situationsbedingtes Handeln ermöglicht, so dass der gewünschte Erfolg auch erzielt werden kann.

Die Erfahrung bei der Umsetzung neuen technologischen Wissens in die industrielle Umwelt zeigt, dass

  • die Neigung zum Risiko dann am geringsten ist, wenn sich Entscheidungen auf die Branchenbeobachtung stützen (Waagen Industrie 70/75);
  • die Einführung von mehreren Technologien auf einmal wegen der Nichtbeachtung einzelner Veränderungen den Grad des Risikos beachtlich erhöht. Größere Umstrukturierungsprozesse in der Branche, zum Beispiel die US-Stahlindustrie hatte zu lange auf die Einführung von Technologien verzichtet;
  • je größer die Risikobereitschaft zur Einführung von neuen Technologien ist, desto größer sind auch die Erfolgschancen im Markt, zum Beispiel geringere Kosten, höhere Stückzahlen, Erhöhung der Flexibilität, insbesondere wenn sich der Einsatz der neuen Technik im Produktionsbereich vollzieht;
  • je flexibler eine Organisation auf den technischen Wandel reagiert, desto effizienter ist das Entscheidungsverhalten und um so erfolgreicher ist man bei der Umsetzung von technologischen Entwicklungen in Produkte und Verfahren. Der Produktionsaufbau, der so gestaltet ist, dass er ständige technologische Neuerungen mitberücksichtigen kann, erwirkt auch eine effizientere Anpassung am Markt (japanische Autoindustrie). Diese dynamische Flexibilität erfordert eine hohe Dialogfähigkeit der Organisation besonders dann, wenn kleine Einheiten als Folge dieser Flexibilität das Produktionssystem durch Neuerungen beeinflussen;
  • je größer die Anzahl der Konkurrenzprodukte am Markt, desto weniger Möglichkeiten zur Preisgestaltung sind vorhanden, das heißt, Preiserhöhungen sind, nur schwer durchzusetzen. Daraus folgt, dass der Zwang zu einer effektiven Nutzung der Technologie und damit auch zur Erhöhung der Risikobereitschaft die Entscheidungen erzwingen, die notwendig sind, um am Markt konkurrenzfähig zu werden.

Nach Burton H. Klein fallen die Unternehmen dem technologischen Wandel als erste zum Opfer, die den Risikofaktor bei der Nutzung von Technologien nicht erhöhen, das heißt keine Steigerung im Verhalten zum kalkulierten Risiko aufweisen.

Das Maß an Veränderung zur Risikobereitschaft entscheidet, ob ein Unternehmen die Möglichkeiten, die in der Technologie stecken, optimal nutzt.

Welche Einstellung wir heute in der Bundesrepublik zum Risiko haben – und das nicht nur in der Industrie-, ist bekannt, ein Zeichen verhärteter Strukturen. Auf die Gesamtwirtschaft übertragen bedeutet die Betrachtung des Risikoverhaltens, wie weit können branchenorientierte Aussagen Gültigkeit haben, besonders wenn man die internationale Verflechtung mit berücksichtigt?

Fehlende Anpassung an den Technologischen Wandel, sprich Risikoentscheidungen, sind dann auch entsprechend der Unternehmensstrategie zu analysieren.

Da durch technische Entscheidungen selten kurzfristige Erfolge erzielt werden können, wurde dem Aspekt der Risikobereitschaft im Führungsverhalten in der Vergangenheit wenig Beachtung geschenkt. Die dynamische Flexibilität, die notwendig ist bei der Entwicklung einer risikobereiten Unternehmenskultur, erzwingt Entscheidungsformen, die technologie- und problemspezifisch sind. Zu Fragen ist, ob in unseren Strukturen – und das über die der Unternehmen hinaus – noch adäquate problemorientierte Entscheidungen zu erlernen sind, zum Beispiel das Festhalten an arbeitsplatzorientierten Lösungen, Tarifen, Verbeamtung der technischen Intelligenz in Bereichen, wo keine staatspolitischen Funktionen vorhanden sind.

Die Symbiose von Technik und Wirtschaft wird eine Reihe von neuen Organisationsformen bringen, die bis hin in die kommunalen Strukturen einwirken, und das mehr, als man es heute durch die Industriezonen oder -parks gewillt ist zu diskutieren. Durch die immer einfacher werdende Verlagerung von Tätigkeiten, über die unterschiedlichsten Regionen und Bereiche wird es, insbesondere wenn es nicht um die massenproduzierenden Unternehmen geht, größere Verschiebungen geben.

Besonders durch die Entwicklung im Bereich der Kommunikationstechniken, zum Beispiel die Einführung von ISDN, wird dieser Trend an Dynamik gewinnen. Zusätzlich werden durch die damit verbundenen Möglichkeiten in den Unternehmen viele Probleme, die sich mit der Frage der LANs befassen, einer Lösung näherkommen. Informationsaustausch wird mit einer wesentlich höheren Effizienz möglich. Die sich daraus ergebenden wirtschaftlichen Verlagerungen werden sich in einer Größenordnung vollziehen, die die meisten Just-Prognostiker nicht in der Lage sind zu berücksichtigen, besonders, weil es in den Wirtschaftsprognosen noch nicht gelungen ist, individuelles Verhalten von Unternehmen gegenüber den Innovationen und dem technologischen Wandel in die ökonomische Theorie einzubeziehen.

Unternehmen, die diesen Prozess effektiv organisieren (Innovationsmanagement/ IM) , und das in Kombination mit dem notwendigen Technologiemanagement (TM) , werden zukünftig auch die besten Voraussetzungen zu einer Marktführerschaft haben (komperativ). (Siehe Abb. 1: „Strategie, Taktik, Operation“.)

Aussagen, die den technologischen Innovationsprozess als lineares Verhalten betrachten, und dass die Wissenschaft eine zentrale Rolle bei der Initialisierung einer Innovation hat, stellen ein zu einfaches Bild dar und sind nicht orientiert an einem realen Verlauf des Innovationsprozesses.

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