Klaus P. Friebe ist am 12. Juni 2017 in Berlin gestorben. Er wurde 82 Jahre alt. Seine Frau Liane und seine Söhne Marc und Kirk begleiteten ihn in seinen letzten Stunden. Friebes Tod bedeutet für ihn das Ende einer sehr langen und schweren Krankheit. Er litt an einer fortschreitenden Schädigung der Nervenzellen, die für Muskelbewegungen verantwortlich sind; die unheilbare Krankheit ist unter dem Kürzel ALS bekannt.
Als Außenstehender kann man nur erahnen, was Friebe und seine Familie in den letzten Jahren durchleiden mussten. Umso mehr staunte ich immer wieder über die Herzlichkeit und Freude, mit der ich im Haus der Friebes in Mariendorf bei meinen Besuchen dort empfangen wurde. Und ich staunte über die fortwährende geistige Kraft von Friebe.
So sprachen wir auch noch bei meinem letzten Besuch im März dieses Jahres über Themen, die Friebe sein ganzes berufliches Leben lang beschäftigten. Es ging um die Anwendung der von ihm entwickelten „Erfolgsformel“ in Unternehmen und Organisationen. Es war, wie immer mit Friebe, ein engagiertes, konträres, überraschendes Gespräch!
Seine Kreativität in der Diskussion, seine Gesprächsführung, seine Argumentationsstärke, seine Schlussfolgerungen – allen diesen herausragenden Eigenschaften konnte seine schreckliche Krankheit bis zuletzt nichts anhaben; ebenso wenig seinem Erstaunen über Zweifel und Widerworte. Es gelang mir selten, seine Argumente zu widerlegen; wenn dann doch, spürte man deutlich den Starrsinn von Friebe – er wechselte dann einfach das Thema.
Friebe war dennoch ein außergewöhnlich großer Geist. Und ich habe es häufig erlebt: Er machte es weder seinen Mitstreitern leicht, noch seinen Widersachern – ihnen erst recht nicht. Seinen Kampfgeist und seine Fähigkeit, komplexe Zusammenhänge insbesondere aus ungewöhnlichen Perspektiven zu analysieren – Friebe nannte das „die Logik hinter der Unlogik suchen“ –, führte Friebe selbst auf seine Kindheit, seine Jugend und die ersten Berufsjahre in sozialistischen Plansystemen zurück.
1935 in Oberschlesien geboren, besuchte Friebe dort deutsche und polnische Schulen. In einem Gespräch im Januar 2011 erzählte er aus seiner Kindheit (Anm. der Red.: Orginaltranskript):
„Ich bin groß geworden mit sieben Geschwistern. Wir hatten nichts nach dem Krieg. Meine Mutter sagte, „was Ihr im Kopf habt, kann euch keiner stehlen“. Ich wurde sozusagen aus diesem Grund „zur Ökonomisierung des Wissens“ erzogen, also zum ökonomischen Wert des Wissens. Uns Kindern wurde sehr früh klargemacht, dass man alles verlieren kann – und wir verloren alles, was Vater und Mutter aufgebaut hatten – aber das, was man im Kopf hat, kann keiner einem wegnehmen. Durch die unterschiedlichen Schulsysteme, die ich durchlaufen musste, lernte ich viel über die Zusammenhänge des Wissens, und je mehr ich verstand, desto erfolgreicher war ich. Ich habe damals nicht von Erfolg gesprochen, sondern eher von einem Vorteil – dem ökonomischen Vorteil. Entweder hat sich das in Zensuren ausgedrückt, in einer Belohnung oder in einem Preis. Ich war in meiner Ausbildungszeit auch gezwungen, so viel unterschiedliche Dinge wie möglich zu machen. So habe ich während meines Studiums der Elektrotechnik gleichzeitig auch Ägyptologie studiert. Als Fremdsprache mussten wir russisch lernen. Alle in der Schule weigerten sich, russisch zu lernen. Meine Mutter hat gesagt: Du weißt nicht, für was Du es brauchst – Russland ist groß. Sie hat uns motiviert, russisch zu lernen. Wir waren einer der wenigen, die wissbegierig die Sprache gelernt haben. Im Studium hat mir das genutzt, da die Russen billige Fachbücher angeboten hatten.“
Im Jahr 1958 übersiedelte Friebe nach Deutschland. Dort musste er das Abitur erneut ablegen und ebenso sein Studium der Elektrotechnik. Die Schul- und Studienabschlüsse aus Polen wurden in Deutschland nicht anerkannt. Sein Studienfreund an der Technischen Hochschule München und lebenslanger Wegbegleiter Dr. Uwe Thomas, Wirtschaftsminister a.D. in Schleswig-Holstein und Staatssekretär a.D. im Bundesministerium für Forschung und Technologie, charakterisiert Friebes Kampfeswille und Furchtlosigkeit mit dieser Studienzeit-Anekdote:
„Zusammen mit uns wohnte im gleichen Stockwerk ein riesengroßer, farbiger Mann aus Uganda mit dem Namen Okello. Er war später einer der Militärführer in Uganda. Auf mich machte er durchaus einen gewalttätigen Eindruck. Friebe sprach ihn mehr als einmal an: ‚Jumbo, du hast schon wieder nicht die Dusche saubergemacht. Mach endlich die Dusche sauber!‘ Und Okello, dieser Zwei-Meter-Hüne, marschierte in die Dusche und machte sie sauber. Friebe hatte das nichts ausgemacht. Ich hätte mich das nie getraut.“
Nach Abschluss des Studiums ging Friebe mit seiner Frau Liane 1967 in die USA. Seine beiden Kinder Marc und Kirk wurden dort geboren. Zuerst arbeitete Friebe als Entwicklungsingenieur bei General Dynamics in Rochester, N.Y., danach als Produktmanager bei Sperry Rand USA. Friebe arbeite erfolgreich. Eine Gesprächsaufzeichnung belegt wie er damals seine beruflichen Anforderungen anging (Anm. der Red.: Orginaltranskript):
„Als wir Probleme hatten bei Kopierern, in der Abteilung, die ich zum Schluss geleitet habe, da hat mein Vice President gesagt: ‚Don’t worry, give it to Klaus! Crazy German, he will solve it.‘ Ich bin mit keinem Vorurteil an die Probleme herangegangen. Ich habe gesagt, das ist die Situation, das ist die Aufgabe, und in der Situation müssen wir das lösen. Ich habe mir nicht eingebildet, ein guter Manager zu sein und ich habe mir auch nicht eingebildet, ein guter Ingenieur zu sein. Ich hatte nur die Aufgabe und ich hatte die Zwänge, die Probleme zu lösen.“
1975 kehrte Friebe mit seiner Familie zurück in die Bundesrepublik. Bis Anfang 1978 leitete er im Auftrag des Bundesministeriums für Forschung und Technologie das Projekt „Anwendung der Mikroelektronik in kleinen und mittleren Unternehmen“ am Institut für Systemtechnik und Innovationsforschung in Karlsruhe. Es war ein herausfordernder, aufregender und schwieriger Job. Ausgelöst durch eine rasante technologische Entwicklung, insbesondere durch die Mikroelektronik, bestanden hohe Risiken für die deutsche Industrie, besonders für mittelständische und kleine Unternehmen. U. a. die Uhrenindustrie und der Maschinenbau und deren Zulieferer waren zunehmend in ihrer Existenz bedroht. Bisherige Forschungs- und Förderkonzepte versagten oder brachten zumindest nicht schnell genug zählbare Ergebnisse.
In dieser Situation entwickelte Friebe völlig neue Konzepte, die bei vielen etablierten Wissenschaftlern, Vertretern von Großunternehmen, aber auch Politikern und Gewerkschaftlern anfänglich auf große Ablehnung stießen. Nicht jedoch bei den kleinen und mittelständischen Unternehmen. Denn diese spürten sehr deutlich: Friebe steht auf ihrer Seite.
Diese Konzepte führten schließlich 1978 zur Gründung des VDI/VDE-Technologiezentrums Informationstechnik in Berlin, dessen operativer Gründungsgeschäftsführer Klaus P. Friebe wurde. Er leitete das VDI-TZ, wie es intern kurz genannt wurde, 21 Jahre lang. Während seiner Arbeit dort entwickelte Friebe mit seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die wichtigsten Förderprogramme des Bundes zur Anwendung der Mikroelektronik und neuer Technologien in Deutschland. Als Projektträger war das VDI-TZ auch für deren erfolgreiche Umsetzung mit verantwortlich. Friebe trug damit an entscheidender Stelle zur Modernisierung der deutschen Wirtschaft in den siebziger und achtziger Jahren bei. Auch heute noch nimmt die Nachfolgeorganisation, die VDI/VDE Innovation + Technik GmbH, eine herausragende Rolle bei der Förderung von Innovationen in der Wirtschaft ein.
Von 1991 bis 2000 arbeitete Friebe dann als Direktor der Technologiestiftung Schleswig-Holstein in Kiel, kurz TSH; an der Gründung der TSH war er maßgeblich beteiligt. Und auch dort war Friebe wieder erfolgreich, wie Dr. Jörg Biel, Hauptgeschäftsführer i.R. der Industrie- und Handelskammer Schleswig-Holstein, bei einer Rede im September 2005 in Kiel anklingen ließ:
„Dass es dann auch tatsächlich begann, dafür sorgte eine besondere Persönlichkeit – nämlich der erste Direktor der TSH Klaus-Peter Friebe. Ich habe selten einen Menschen erlebt, der es mit unkonventionellen Ideen, mit einer enormen Durchsetzungskraft und großer Konfliktbereitschaft verstand, die Leute mitzureißen und etwas zu bewegen. Querdenken war und ist sein Lebenselixier. Und er verstand es, Fördermittel nur dann zu verteilen, wenn Partner aus der Wirtschaft und der Wissenschaft zusammenarbeiteten – der Technologietransfer also direkt in die Förderung eingebettet wurde.“
Eine von Friebes Stärken beschrieb Edelgard Bulmahn, von 1998 bis 2005 Bundesministerin für Bildung und Forschung im Kabinett von Bundeskanzler Gerhard Schröder in einem Gespräch 2010:
„Friebe bringt unterschiedliche Menschen zusammen, aus ganz unterschiedlichen Fachrichtungen, aus unterschiedlichen Kulturkreisen, aus unterschiedlichen sozialen Ebenen, mit einer großen Offenheit und Neugier, insbesondere bei seinen privaten Treffen.“
Ich lernte Friebe 1981 kennen, also vor über 35 Jahren als er Geschäftsführer des VDI-Technologiezentrums war. Seit dieser Zeit begleitete ich Friebe journalistisch und später auch publizistisch in seinem beruflichen Wirken. Beide achteten wir immer auf die erforderliche journalistische Distanz, gemäß dem Motto „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache; dass er überall dabei ist, aber nirgendwo dazugehört.“ – das Motto des jährlich vergebenen Hanns-Joachim-Friedrichs-Preises für Fernsehjournalismus. Ein Beleg dafür mag sein, dass Friebe und ich trotz 35jähriger, später auch enger beruflicher und persönlicher Nähe und Wertschätzung, sich nie duzten. Wir kamen nicht einmal auf die Idee, dies zu tun.
Was mich in meiner journalistischen Arbeit im Allgemeinen, und bei Friebe schon sehr bald im Besonderen, reizte, war die Frage: „Was macht Erfolg aus – und natürlich das Gegenteil“. Viele meiner Gespräche mit Unternehmens- und Meinungsführern der Technologie- und Medienbranche zielten genau auf diesen Punkt. Und viele Antworten erschöpften sich in Oberflächlichkeit, Marketingblasen und Allgemeinplätzen. Das hat sich übrigens bis heute nicht geändert.
Ich habe außer Friebe keinen Menschen kennengelernt, der sich mit einer solchen Offenheit und Gedankentiefe dieser Frage stellte und entsprechende Antworten lieferte. Immer waren diese Antworten unorthodox, überraschend, kaum sofort zu verstehen; meist forderten sie Widerspruch geradezu heraus.
Friebe-Antworten führten mich immer weiter: im Verstehen der Sache und der Handlungen der befassten Personen. Und mit der Zeit stellte ich fest, sie führten auch mich in meiner eigenen Entwicklung weiter. So wurde Friebe mit den Jahren mein wichtigster Lehrer, hilfreich auch in kritischen Berufs- und Lebenssituationen. Es mag unlogisch klingen, aber meine journalistische Distanz hat nie darunter gelitten, Friebe hat nie ein unprofessionelles Naheverhältnis eingefordert.
Durch die zahllosen Treffen, öffentlichen Auftritte, Pressekonferenzen und persönlichen Gespräche, bei denen ich Friebe begleiten durfte, verstand ich allmählich, wie er seine Erfolge erzielte. Er analysierte, prognostizierte, baute Visionen, formulierte Ziele und daraus Programme, entwickelte Organisationen und realisierte diese mit seiner Mannschaft – diese mit häufig erstaunlichen Ergebnissen.
Friebe ging in seiner Arbeit immer systematisch vor, sehr vielschichtig und interdisziplinär. Er schuf sich dafür über die Jahre hinweg einen eigenen „Werkzeugkasten“, den er bis zur Perfektion entwickelte.
Und Friebe gab diesen Werkzeugkasten weiter. Eine ganze „Jüngerschaft“ hat Friebe im Laufe seines Lebens für seinen Werkzeugkasten begeistern können, und viele sehr erfolgreiche Berufslaufbahnen basieren auf seinen Lehrsätzen.
Eine seiner bekanntesten und nicht immer in seinem Sinne richtig verstandenen Weisheiten ist die sogenannte Erfolgsformel. Sie beschreibt auf „einstein’sche Art“ eine der interessantesten Fragen, mit denen sich Menschen seit jeher beschäftigen – nämlich, was macht Erfolg aus. Die „friebeistische Erfolgsformel“ lautet:
E = k x W x V²
wobei „k“ die Abkürzung für „Kulturfaktor“ ist; „W“ steht für „Wissen“ und „V“ für Verhalten.
Andere Inhalte aus Friebes Lehren sind die „hyperbolische Funktion“ als Beschreibung periodischer Markt- und Technologiebrüche und deren Wirkungen, „Soziogramme“ als Situations- und Beziehungsanalyse, die „Neuner-Matrix“, meines Wissens schon weit vor Gartner von Friebe entwickelt, „Liquiditätssteuerung von Unternehmen“, die „Sieben Konfliktlösungsstrategien“, „Situatives Management“, „Inside- Outside-Analyse“, „Einsatz von Strategemen“, „Zeit- und Projektmanagement“, der „Winkel Alpha“, die „Weinglas-Theorie“, „Karpfen, Hechte und Delphine“ oder die „Erfolgsformel für Manager“. Dies sind nur Beispiele aus einer umfangreichen Palette an Analyse-, Prognose- und Führungstools, die Friebe über die Jahre immer weiter entwickelte.
Meine Berliner Besuche bei Friebes, so freundschaftlich und herzlich sie auch immer waren, hatten immer einen Arbeitshintergrund. Das letzte große „Projekt“, dass wir gemeinsam angingen, war, Friebes „geistiges Vermächtnis“ der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die Idee dazu entstand 2010 und konkretisierte sich im Januar 2011. Damals erfuhr ich erstmals von Friebes Krankheit.
Über die letzten Jahre hinweg sortierte Friebe seine gesammelten Arbeitsunterlagen und übergab sie mir in zirka 40 Aktenordnern. Unter dem Dach der gemeinsamen Unternehmung „Delphin Consult“ begann ich, die Unterlagen in einer Web-Datenbank zu digitalisieren und einer interessierten Nutzergruppe als „Friebeismus-Bibliothek“ zugänglich zu machen. Bisher sind etwa zwanzig Prozent der Friebe-Quellen dort veröffentlicht. Dazu kommen noch Audioaufzeichnungen und Presseveröffentlichungen über das berufliche Wirken Friebes, die Innovations- und Technologieentwicklung, seine gesellschaftlichen Theorien dazu, sowie die jeweiligen wissenschaftlichen und politischen Rahmenbedienungen.
Parallel zur Quellenerfassung begannen wir gemeinsam mit der Auswertung und der Veröffentlichung erster Aufsätze über einzelne Friebe-Themen – über seinen „Werkzeugkasten“ und seine Lehrsätze. Drei Broschüren dazu sind mittlerweile erschienen, unter anderem zur „Friebeistischen Erfolgsformel“
Das Text-Manuskript für den vierten „DCO-Report“ ist einen Tag vor Friebes Tod fertig geworden; das Thema: „Die Erfolgsformel für Manager“. Wir werden es zeitnah zum Gedenken an Friebe in großer Dankbarkeit publizieren. Weitere Veröffentlichungen dazu werden folgen.
Wir alle – seine Familie, Verwandten und Freunde – werden dafür sorgen, dass Klaus P. Friebe im Sinne seines Vaters Fritz Friebe weiterlebt. Einst sagte er zu seinem Sohn Klaus:
„Weißt du, alles was du im Leben weitergibst, eine Idee, einen Rat, eine Empfehlung, eine Erfindung, einen Trost oder eine gelungene Sache, das lebt weiter! Das wird von den Menschen weitergegeben und geht nicht verloren. Auch wenn du nicht mehr da bist, leben deine Ideen, deine Gedanken, deine Erkenntnisse und deine Ratschläge weiter. – Sie sterben nicht! Irgendjemand wird sich immer wieder daran erinnern! – Das ist das ewige Leben!“.
Im Juni 2017
Eduard Heilmayr