Der »S-Siegerlandfonds 1« war ein Paradigmenwechsel. Mit diesem mutigen Vorstoß war die Siegener Sparkasse im Jahr 1983 die erste Regionalbank, die einen Venture-Capital-Fond auflegte. Die Siegener Sparkasse übernahm damit eine wichtige Vorbildfunktion, dass auch Regionalbanken Venture-Capital zur Verfügung stellen können, ein wichtiger Baustein für die regionale und flächendeckende Versorgung mittelständischer Technologieunternehmen mit Risikokapital in der Bundesrepublik. Dabei stieß dieser Weg auch auf viele Widerstände. Im Gespräch mit dem damaligen Markt & Technik Redakteur Eduard Heilmayr erklären der Vorstandsvorsitzende der Siegener Sparkasse, Rolf Brunswig und der Geschäftsführer des »S-Siegerlandfonds 1«, Peter Töpfer, ihren Schritt.
Nicht so sehr die Höhe des Fondskapitals verdient Aufmerksamkeit – 5 Millionen Mark sind gesamtwirtschaftlich betrachtet ein eher bescheidener Betrag -, sondern die Tatsache an sich ist aufsehenerregend: Startete nämlich mit dem »S-Siegerlandfonds 1« am 1. November 1983 zum ersten Mal eine regional strukturierte Sparkasse einen Venture-Capital-Fonds. Neben der Deutschen Bank und der Industriekreditbank in Berlin war das Siegener Geldinstitut damit Vorreiter einer Entwicklung, die in diesem Jahr so richtig zum Ausbruch kommen dürfte, auch wenn die Siegener Geldleute aus ihren eigenen Reihen nicht nur mit Beifall überschüttet wurden. Der Vorstandsvorsitzende der Siegener Sparkasse, Rolf Brunswig, und der Geschäftsführer des »S-Siegerlandfonds 1«, Peter Töpfer, sprachen mit Markt & Technik über Motive, Hintergründe und Struktur des Venture-Capital-Fonds.
Der Vorgang ist bisher einmalig: Als erste Sparkasse in Deutschland legte das Siegener Geldinstitut einen Venture Capital-Fonds auf. Ausgestattet mit 5 Millionen Mark soll das Chancenkapital des »S-Siegerlandfonds 1« mit dazu beitragen die Wirtschaftsstruktur in der nordrhein-westfälisch gelegenen Region zu verbessern. Das ist aber nicht der einzige Grund, der den Vorstand Sparkasse Siegen dazu bewog, den besonders auch in der Sparkassenorganisation nicht unumstrittenen Schritt zu wagen.
Vorstandsvorsitzender Rolf Brunswig: »Um die Seriosität der Venture-Capital-Aktivitäten zu gewährleisten, müssten sich meines Erachtens die Kreditinstitute dieser Aufgabe annehmen.« In Misskredit könnte die »gute Idee«, so Brunswig, »durch unseriöse Anbieter wie ‚Abschreibungshaie aus der Bauherrenmodell-Branche‘ geraten«, Dabei gehe es beim Aufbau des Fonds nicht um »moralische Gründe«, betont Brunswig, »sondern es sind Gründe, die auch für uns Nutzen versprechen: Einerseits können wir für die mittelständische Wirtschaft in unserer Region Anreize schaffen, aber andererseits sehen wir auch die Geschäftsmöglichkeiten, die sich für uns daraus ergeben könnten«. Brunswig ist optimistisch, dass der Siegerlandfonds für seine Sparkasse langfristig erfolgreich verlaufen wird, »mit einer ‚anständigen‘ Rendite, die der Fonds langfristig bringen muss, und durch entsprechende Zusatzgeschäfte mit neuen Kunden, die beispielsweise durch die Ansiedlung von Unternehmen in unserer Region entstehen«. Gerade in der Verknüpfung des Nutzens für seine Sparkasse und den Vorteilen, die der Fonds den Firmen bieten kann, liegt nach Brunswigs Meinung die »phantastische Idee des Projekts«.
Trotz dieses wohlbegründeten Eigennutzes stehe man nicht unter einem unmittelbaren Erfolgsdruck. »Wir sind uns dessen sicher, dass wir Pannen erleben werden; wenn man das in seinem Konzept nicht von vornherein berücksichtigt, sollte man das Venture-Capital Geschäft lassen«, argumentiert Brunswig überzeugt. »Wir glauben aber für den Siegerlandfonds den Mittelweg zwischen allzu großer Vorsicht und sträflichem Leichtsinn mit einer gesunden Risikobereitschaft gefunden zu haben.«
Gerade die mangelnde Risikobereitschaft ist ein in der Öffentlichkeit häufig erhobener Vorwurf an die Adresse der Banken. In diesem Zusammenhang verweisen die Geldinstitute auf ihre vom Gesetzgeber vorgeschriebene Verantwortung gegenüber den Kapitaleinlagen ihrer Kunden. Auch Brunswig kennt diese Problematik: »Sicherlich handeln wir auch nach den Gesetzen der Risikominimierung. Das kann aber niemals bedeuten, dass Sparkassen und Banken kein Risiko mehr eingehen sollen. Das wäre zwangsläufig das Ende besonders der mittelständischen Wirtschaft.« Deshalb sei es zwingend notwendig, so Brunswig, dass die Geldinstitute verantwortbare Risiken eingehen.
So überzeugend dies klingen mag, bei weitem nicht alle Kollegen innerhalb der deutschen Sparkassenorganisation zollen dem Siegener Venture-Capital Fonds Beifall. Brunswig weiß, »dass die zuständigen Gremien des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes der Sache sehr zurückhaltend – um nicht zu sagen, ablehnend – gegenüberstehen«. »So etwas ist nicht Aufgabe der Sparkassen«, lautet die lapidar scheinende Begründung für deren ablehnende Haltung. Brunswig ist im Gegensatz dazu überzeugt, dass diese Auffassung von vielen »Sparkassenpraktikern« nicht geteilt wird, »vor allem die Sparkassen mittlerer Größe stehen unserem Projekt mit aufgeschlossener Neugierde gegenüber«. Diese Einschätzung leitet Brunswig unter anderem aus den Erfahrungen ab, die er Ende Oktober letzten Jahres auf einer Arbeitstagung mit 150 Sparkassen-Vorständen in Stuttgart gewonnen hat. Das Siegener Konzept, von ihm dort vorgestellt, wurde mit »interessierter, kritischer, aber positiv aufgeschlossener Resonanz« bewertet.
Begrüßt wurde die Aktivität der Sparkasse von Anfang an auch vom regional zuständigen Sparkassen- und Giroverband, dem Regierungspräsidenten in Arnsberg und dem Wirtschaftsministerium in Düsseldorf. So war es zwar nicht verwunderlich, so Brunswig, aber doch sehr erfreulich, dass innerhalb kurzer Zeit die notwendige Ausnahmegenehmigung – die Gründung einer Kapitalbeteiligungsgesellschaft ist kein in der Sparkassenverordnung Nordrhein-Westfalens aufgeführtes Sparkassengeschäft – von den zuständigen Sparkassenaufsichtsbehörden erteilt wurde. Hier ist Brunswig voll Lob für seine dort zuständigen Gesprächspartner: »Es war eine Freude, mit den Vertretern sowohl des Regierungspräsidenten in Arnsberg als auch des Wirtschaftsministeriums zusammenzuarbeiten.«
Die dortigen Beamten hätten sich sehr schnell in die für sie völlig neue Materie eingearbeitet und in sehr kurzer Frist die erforderliche Ausnahmegenehmigung erteilt, »wohl wissend, dass sie damit einen Präzedenzfall für die Sparkassen im gesamten Bundesgebiet geschaffen haben«. Auch über den nordrhein-westfälischen Wirtschaftsminister Professor Dr. Reimut Jochimsen ist Brunswig voll des Lobes: »Der Minister war bestens mit der Materie vertraut und hat unser Projekt als ‚politisch wünschbar‘ betrachtet.« Das »Wunschdenken« von Professor Jochimsen scheint die positive Entscheidung wesentlich beflügelt zu haben.
Um die gesteckten Erwartungen erfüllen zu können, ist eine wesentliche Voraussetzung, das Fondsmanagement mit möglichst viel Know-how für die Technologiebewertung und den notwendigen begleitenden Beratungshilfen auszustatten. Fonds-Geschäftsführer Peter Töpfer, Leiter des Kreditsekretariats der Sparkasse Siegen, erklärt die getroffenen Maßnahmen: »Wir haben im Gesellschaftsvertrag einen Beirat installiert, der den ‚S-SiegerlandFonds 1‘ in allen wichtigen Fragen berät.« Dieser ist laut Töpfer zuständig für die Entscheidung über das Eingehen von Beteiligungen. Der sechsköpfige Beirat setzt sich zusammen aus Rolf Brunswig, seinem Vorstandskollegen Helmut Varnholt und Peter Töpfer auf Seiten der Sparkasse, sowie drei außenstehenden Beratern, »die aber volles Stimmrecht haben«, betont Brunswig. Die drei externen Mitglieder des Beirates sind Unternehmer, einmal aus dem technischen Bereich, ein kaufmännisch »besonders versierter« Unternehmer und ein Steuer- und Wirtschaftsberater, »der sich bereits sehr stark mit Existenzgründungen beschäftigt hat«.
Zusätzlich werde man bei Bedarf, betont Töpfer weiter, externe Berater, mit denen Kooperationsabsprachen getroffen wurden, hinzuziehen. Töpfer verweist in diesem Zusammenhang auf freie Technologieberater der Industrie- und Handelskammer, auf Technologieberatungszentren und die Universität Siegen.
Nach dem Eingehen eines Investments biete man weiter die laufende kaufmännische Begleitung des Unternehmens. Einen wesentlichen Vorteil sieht Töpfer in der Beschränkung des Fonds auf die Siegener Region. »Die unmittelbare Verbindung, die kurzen Wege zu unseren Beteiligungen bieten viel mehr Chancen als Nachteile.«
Das gesamte Fondskapital von 5 Millionen Mark steht, so Töpfer, seit dem 1. November 1983 zur vollen Verfügung. Die konkrete Zielsetzung des Siegerlandfonds 1 lautet, Firmengründungen in zukunftsträchtigen Technologiebereichen anzuregen, die Innovationsfähigkeit von bestehenden Unternehmen zu stärken, Unternehmen nachhaltig eine wettbewerbsfähige, selbständige Existenz zu sichern und qualifizierte Arbeitsplätze zu schaffen beziehungsweise zu erhalten. Dabei legt Töpfer eindeutig Wert darauf, dass eine eventuelle Beteiligung zur Durchführung »technischer Produkt- oder Verfahrensinnovationen« dienen muss. Die Produkte müssen auf einen erkennbaren, künftigen Bedarf ihres Marktes ausgerichtet sein, eine Neuerung oder Verbesserung in technischer oder wirtschaftlicher Sicht aufweisen, sich durch ein besonderes, möglichst schutzfähiges Know-how auszeichnen und eine gefestigte Marktstellung erwarten Jassen. Die Beteiligung kann alle Phasen, von der Idee und dem Konzept über Entwicklung, Produktionsaufbau bis hin zur Markteinführung umfassen. Eindeutig erklärt Töpfer, dass die Kapitalbereitstellung zu Sanierungszwecken ausgeschlossen ist.
Kapitalbeteiligungen sind dabei möglich »bei neu zu gründenden Unternehmen, die sich mit intelligenten Produkten beziehungsweise innovativen Technologien beschäftigen und etablierten, dynamischen mittelständischen Unternehmen, die sich nicht mit der Bewahrung des ‚Status quo‘ zufriedengeben, sondern durch Diversifikation mit intelligenten Produkten oder durch Anwendung von innovativen Verfahrenstechniken weiteres rentables Wachstum anstreben«. Voraussetzung dafür sei jedoch, betont Töpfer nochmal ausdrücklich, dass die Unternehmen ihren Sitz oder eine Produktionsstätte im Siegerland haben beziehungsweise diesen dort gründen oder dorthin verlagern.
Die Art der Beteiligung berücksichtigt die Bedürfnisse des Einzelfalles. Sie geschieht entweder durch Übernahme von Gesellschaftsanteilen oder in Form der stillen Beteiligung. Der Beteiligungsbetrag soll im Allgemeinen 200.000 Mark nicht unterschreiten und nicht über 1 Million Mark liegen, wobei der Siegerlandfonds 1 in der Regel als Minderheitsgesellschafter auftritt. Vom Unternehmen wird daher erwartet, dass es selbst in angemessenem Umfang Eigenmittel einbringt. Dabei werden, betont Töpfer, natürlich auch Vorleistungen mitberücksichtigt, die der Unternehmer bereits erbracht hat.
Die Beteiligungsdauer ist abhängig vom Einzelfall. Sie wird, so glaubt Töpfer, im Allgemeinen zwischen 5 und 10 Jahre betragen. Die Frage des Ausstiegs nach dieser Zeit ist ebenso abhängig vom Einzelfall: »Wenn wir uns als typisch stille Gesellschafter engagieren, werden wir normalerweise zum Nennwert wieder aussteigen.« In der Regel, erklärt Töpfer weiter, »erhalten wir während unserer stillen Beteiligung eine feste und daneben eine gewinnabhängige Vergütung«.
Bei einem direkten Engagement des Siegerlandfonds als GmbH-Gesellschafter stellt sich die Situation des Ausstiegs anders dar. »Hier sind wir direkt am Gewinn und Verlust des Unternehmens beteiligt, und wir müssen einen möglichen Gewinn am Ende unserer Partnerschaft beim Verkauf unserer Anteile erzielen«, erklärt Töpfer. Zunächst werde selbstverständlich dem Unternehmer der Geschäftsanteil zum Kauf angeboten. Wenn der Unternehmer nicht bereit ist, die Beteiligung zu übernehmen, wird Töpfer dann die Anteile des Siegerlandfonds unter Umständen auch am freien Markt anbieten. Er verweist darauf, dass die Beteiligung erst dann beendet wird, »wenn das Unternehmen läuft«. » Vielleicht ist der Unternehmer dann zwar nicht in der Lage, unser Kapital ‚aus der Tasche‘ zurückzuzahlen, aber er sollte in der Lage sein, einen Teil aus bereits erwirtschafteten Eigenmitteln und einen Teil auch über eine herkömmliche Kreditfinanzierung abzudecken«, erwartet Töpfer.
Die Zusammenarbeit zwischen dem Unternehmen und dem »S-Siegerlandfonds 1« wird in einem Beteiligungsvertrag detailliert geregelt. Töpfer: »Ziel der Zusammenarbeit ist in erster Linie, dass die unternehmerische Entscheidungsfreiheit erhalten bleibt.« Unterschreibt ein Unternehmen diesen Beteiligungsvertrag, ist es auch verpflichtet, mögliche staatliche Förderungen im Zusammenhang mit dem Innovationsvorhaben zu beantragen. Töpfer verspricht hier die Unterstützung seines Hauses.
Anträge auf Übernahme von Beteiligungen können formlos gestellt werden. » Wir wollen keinen ‚Formularkrieg‘. Im ersten Stadium sind keine großartigen Anträge zu verfassen, uns genügt zunächst eine schriftliche Information mit einer kurzen Beschreibung des Unternehmens und der Innovation«, beschreibt Töpfer die erste Kontaktaufnahme. In der Regel folgt dann ein ausführliches persönliches Gespräch.
Trotz aller Begeisterung für den »S-Siegerlandfonds 1« ist Töpfer Realist. » Wir bilden uns nicht ein, den Stein der Weisen gefunden zu haben. Wir glauben auch nicht, alle Probleme unserer Region lösen zu können. Dies ist auch mit einem gesamtwirtschaftlich gesehen sehr kleinen Betrag von 5 Millionen Mark nicht möglich. Wir wollen in erster Linie Mut machen, dass auch andere Mal darüber nachdenken, auf eingefahrenen Gleisen neue Weichen zu suchen oder eine neue Weiche zu bauen. Es ist wichtig zu erkennen, dass es auch noch andere Finanzierungsmodelle für die Zukunftssicherung unserer Wirtschaft gibt.