Artikel: Technologieinnovationen besser beurteilen

Jedes produzierende Unternehmen muss entscheiden mit welchen Innovationen es am Markt erfolgreich sein kann. Umso wichtiger ist es die Bewertungsmethoden auf den Prüfstand zu stellen, welche die Grundlage für derartige Entscheidungen darstellt. Vergangene Methoden funktionieren nur noch bedingt, da schon alleine die Geschwindigkeit der Innovationen für fehlende Erfahrungswerte sorgt. Klaus P. Friebe, damaliger Geschäftsführer des VDI-Technologiezentrums in Berlin, hat sich substanziell mit der Thematik auseinandergesetzt und wichtige Erkenntnisse gewonnen, die auch heute noch Gültigkeit besitzen. Eduard Heilmayr, damaliger Redakteur bei Markt & Technik, hat Sie 1984 für den Leser aufbereitet.

Der Einsatz von neuen Technologien ist Voraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft. Die Frage jedoch, wie neue Technologien – beispielsweise die Mikroelektronik – beurteilt werden können, wie sie sich auf die Organisation im Unternehmen auswirken und welche Qualifikationen die Entscheidungsträger aufweisen müssen, lässt sich mit herkömmlichen Technologiebewertungsmethoden nicht mehr beantworten. Die Schaffung allgemeingültiger, praktikabler Beurteilungs- und Entscheidungskriterien für den Einsatz neuer Technologien fordert deshalb Klaus P. Friebe, Geschäftsführer des VDI-Technologiezentrums in Berlin im nachfolgenden Artikel.

Der Einfluss von neuen Technologien auf die zukünftige Wirtschafts- und Unternehmensstruktur in der Bundesrepublik Deutschland wird besonders geprägt durch die rasante Entwicklung in der Mikroelektronik. Die richtige Bewertung neuer Technologien und ihre Anwendung in innovativen Produkten ist eine wesentliche Voraussetzung für das notwendige Wachstum unserer Wirtschaft. Wie jedoch die jüngsten, intensiven Diskussionen der Problematik technologieorientierter Unternehmensgründungen und der dafür geeigneten Finanzierungsmethoden aufzeigte, zählt die richtige Einschätzung von innovativen Produkten und die damit im Idealfall verbundene Generierung neuer Märkte zu den Problemen, von deren Lösung man noch weit entfernt ist.

Doch die richtige Einschätzung, Bewertung und effektive Umsetzung von neuen Technologien in marktgerechte Produkte wirkt weit über den bisherigen Rahmen der Venture Capital-Diskussion hinaus. Jedes Unternehmen, das auch in Zukunft erfolgreich wachsen will, und damit zur Sicherung des eigenen Unternehmens zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Steigerung des sozialen Wohlstands beiträgt, muss sich mit der Bewertung von neuen Technologien erfolgreich auseinandersetzen. Damit verbunden erfordert der Einsatz von neuen Technologien in den Unternehmen eine Anpassung der betrieblichen Strukturen auf nahezu allen Entscheidungs-, Produktions- und Vermarktungsstufen. Die Konsequenz daraus ist eine radikale Veränderung betrieblicher Rahmenbedingungen, besonders im Management. Auch Krisenmanagementmethoden helfen da wenig.

Die Begründung hierfür liegt in der Tatsache, dass bisher bekannte und benutzte strategische Technologie-, beziehungsweise Technikbewertungsmethoden, zur effektiven Beurteilung neuer Technologien ungeeignet sind. Verschärfend kommt noch hinzu, dass in der bisherigen allgemeinen Technologiebewertungsdiskussion in der Bundesrepublik Deutschland die Sozialaspekte, insbesondere die Auswirkungen auf die Arbeitsplätze, überproportional und dominant analysiert worden sind. Die Ergebnisse sind bekannt: Technikangst und Akzeptanzprobleme. Dies ist umso fataler, als es für die effektive Bewertung neuer Technologien und ihre Auswirkungen auf die Unternehmen bisher nahezu keine praxisgerechten, logischen Kriterien gibt. Denn neben rein theoretischen Betrachtungen ist in der deutschen Wissenschafts-Landschaft wenig an strategischen Hilfsmitteln und Realdaten zu diesem Thema vorhanden.

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Betrachtet man den ersten Abschnitt einer Innovationswelle, so wird klar, wo die Gründe für die Unbrauchbarkeit bisher bekannter Technologiebewertungsmethoden liegen: zum einen in der hohen Geschwindigkeit der Produktinnovationen im Vergleich zur Prozessinnovation (Bild 1) und an der Vielfalt der zu verwertenden Informationen bei neuen Technologien.

In der Vergangenheit vollzog sich die Erarbeitung strategischer Technologiebewertungsmethoden aufgrund von langfristigen Erfahrungen. Bei grundlegenden neuen Produkten, also bei Produkten, die neue Märkte schafften, blieb bisher genügend Zeit für die wissenschaftliche Erstellung praktikabler Technologiebewertungsmethoden. In der Regel konnten die Produkte bezüglich ihrer Auswirkungen auf die Unternehmen und auf ihre Marktchancen hin erfolgreich beurteilt werden. Ebenso blieb genügend Zeit, mit den vorhandenen Instrumentarien, markterforderliche Produktanpassungen vorzunehmen.

Insbesondere die hohe Innovationsgeschwindigkeit und der internationale Konkurrenzdruck zwingen die Unternehmen zu schnellen und richtigen Entscheidungen beim Einsatz neuer Technologien. Zur Erprobung und zur Fehleranalyse bleibt wenig Zeit. Dies ist auch der Grund, warum zur Entscheidung, welche Technologien oder technologischen Produkte eingesetzt werden, die klassischen Marketingbetrachtungen, basierend auf den Erfahrungen mit alten Produkten, nur schwer herangezogen werden können. Fehler jedoch bei der Anwendung oder »ein Verschlafen« des Einsatzes beispielsweise der Mikroelektronik sind mit hohen Kosten beziehungsweise mit nur mehr schwer aufholbaren Wettbewerbsverlusten verbunden.

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Verknüpft mit der hohen Innovationsgeschwindigkeit neuer Technologien ist eine wahre Informationsflut. Diese Informationen in jeder Phase einer Produkteinführung und -vermarktung richtig zu beurteilen ist Aufgabe des Managements (Bild 2). Aus Mangel an geeigneten Selektionsmethoden arbeiten die für die Technologieumsetzung verantwortlichen Personen, insbesondere das Mittelmanagement, unter erschwerten Bedingungen. Bei der Bewertung von Technologien sind Barrieren und Entscheidungsstaus im Management zu überwinden. Sowohl in den Entwicklungs- als auch in den Marketingabteilungen können sich die Unternehmen den Luxus von Entscheidungsträgern nicht mehr leisten, die als »Gralshüter der guten alten Zeit« den veränderten Bedingungen nicht mehr gerecht werden. Deshalb entstehen des Öfteren problematische Situationen, da es bei der Analyse von Informationen meist weniger um sachgerechte Inhalte geht, sondern um Prestigefragen einzelner Mitarbeiter oder Gruppen. Informationen werden nämlich in vielen Unternehmen zurückgehalten, weil man glaubt, damit ein Machtinstrument zu besitzen, das gehalten werden muss, um die eigene Arbeitsplatzsituation zu sichern. Die so entstehenden Konflikte können als »Hemmnis Nr. I« bei der schnellen und effektiven Umsetzung von Informationen gelten. Da zukünftig jedoch ein »Demokratisierungsprozess der Informationsvermittlung« einsetzen muss, sind solche Verhaltensmuster schädlich und mittelfristig nicht mehr tragbar.

Der Einsatz von neuen Technologien wie der Mikroelektronik erfordert deshalb nicht nur sprunghafte Investitionen in der Entwicklung, Fertigung und Vermarktung, sondern insbesondere auch personelle Qualifikations- und Organisationsveränderungen. Dazu müssen den aktiv handelnden Managern geeignete Werkzeuge zur Verfügung gestellt werden. Neben dem Dilemma, dass es keine praktisch nutzbaren Beurteilungskriterien für den Einsatz von neuen Technologien gibt, ist auch das Bewusstsein für die Notwendigkeit solcher Instrumente noch nicht ausreichend geweckt. Es gilt, technologie-spezifische Merkmale für Technologiebewertungsmethoden zu erarbeiten, die allgemein gültig und universell einsetzbar sind.

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