1983 hat Großbritannien im Bereich der Elektronikindustrie im Vergleich zu seinen europäischen Nachbarn aufgeholt. Im Gespräch mit dem damaligen britischen Handelsattache Mr. Neil Rothnie werden die Gründe für die positive Entwicklung klar, aber auch die Schwierigkeiten die es zu bewältigen gilt. Der Artikel beleuchtet auch das damalige Konkurrenzverhältnis, die gemeinsamen Herausforderungen und Kooperationsmöglichkeiten zwischen Großbritannien und der BRD im großen Wachstumsmarkt der Elektronikindustrie.
Die britische Elektronikindustrie hat gerade in den letzten 18 Monaten unbestreitbare Erfolge aufzuweisen. Euphorische Schlagzeilen in britischen Fachzeitschriften — wie »UK No. 1 in semi market« — gründen sich auf Aussagen einiger europäischer Spitzenmanager, die im englischen Markt zukünftig größere Wachstumschancen für elektronische Produkte sehen als beispielsweise beim europäischen Marktführer Deutschland. Wie lassen sich die Erfolge der britischen Elektronikindustrie erklären, welche Unterschiede gibt es zu Deutschland und wo liegen die zukünftigen Schwerpunkte des englischen Engagements auf dem deutschen Markt — Fragen, die Vice-Consul (Commercial) Mr. Neil Rothnie, Handelsattache im britischen Generalkonsulat in München, in einem Gespräch mit Markt & Technik beantwortete.
Die Elektronikindustrie in Großbritannien besteht weitgehend aus mittelständischen und kleineren Firmen. Das Bild habe sich zwar etwas durch den Zuzug amerikanischer Großfirmen vor allem nach Schottland geändert, »aber die rein englische Elektronikindustrie ist mit Ausnahme von vielleicht vier oder fünf Großfirmen, von mittelständischen oder kleinen Unternehmen geprägt«. Als Beleg für diese Aussage nennt Rothnie einige Zahlen: »Die elektronische Bauelementeindustrie in Großbritannien umfasst insgesamt etwa 500 Firmen mit ungefähr 100.000 Beschäftigten. Sie erreichen einen Umsatz von zirka 1,5 Milliarden Pfund im Jahr. Etwa 70 Firmen sind Tochtergesellschaften von Großunternehmen wie Plessey, GEC, Ferranti oder andere. Innerhalb der Gesamtzahl von 500 Firmen enthalten sind etwa 40 Niederlassungen von ausländischen Firmen, vornehmlich amerikanischer Unternehmen. Etwas mehr als die Hälfte der gesamten Betriebe beschäftigen weniger als 25 Leute.« Ein besonderes Merkmal dieser Industriesparte sei es, dass im Wesentlichen sehr junge Firmen im klein- und mittelständischen Bereich anzutreffen sind. »Gerade in den letzten zwei Jahren stießen mehr und mehr neue Firmen wie Pilze aus dem Boden«, berichtet Rothnie.
In dieser Vielzahl von kleinen und mittleren Betrieben sieht Rothnie einen Hauptgrund, »weshalb die englische Elektronikindustrie über die letzten 18 Monate besser abgeschnitten hat als ihre Konkurrenten zum Beispiel in Deutschland oder Frankreich«. Im Gegensatz zu Großbritannien, wo man nach Meinung Rothnies gerade in den Anfängen der Elektronikindustrie mit den »Großen« aus Amerika oder Deutschland aus Geldmangel nicht konkurrieren konnte, und sich darum auf spezielle Marktsegmente konzentrierte, sei der deutsche Markt in den letzten 18 Monaten deshalb so zusammengesackt, weil Aufträge für große Stückzahlen fehlten. Diese Konzentration der britischen Elektronikindustrie auf spezielle Marktsegmente, verbunden mit kleineren Serien gerade hochwertiger Bauteile, ist für Rothnie ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal zu andern europäischen Ländern. Dort sieht er, allen voran in der Bundesrepublik, einen beherrschenden Einfluss der Großfirmen, »die große Stückzahlen ihrer Produkte absetzen müssen, um überhaupt Gewinn machen zu können«.
Natürlich beherberge diese Struktur der klein- und mittel ständischen Unternehmen auch Probleme, bekennt Rothnie. Ein wesentliches Problem sei dabei der hohe Kapitalbedarf in der Elektronikindustrie, um Innovationen zu finanzieren. Mit Ausnahme der wenigen Firmen, die weitgehend von den britischen Regierungsaufträgen finanziert wurden — durch Verteidigungsaufträge oder ähnlichem — war die Finanzierung »zweifelsohne« ein Hemmschuh für die britische Elektronikindustrie. »Ich vermag aber zu sagen, dass in Großbritannien ein sehr hoher Grad an ‚Lust an Innovationen‘ besteht.« Das Problem war, so Rothnie, »diese technischen Innovationen auf den Markt zu bringen.« Das heißt für ihn, Forschungs- und Entwicklungsergebnisse zur Produktionsreife zu bringen und die Produkte zu vermarkten. »Dies war und ist nach wie vor aus Finanzierungsgründen ein Problem.« Hier habe die britische Regierung jedoch in der Vergangenheit große finanzielle Unterstützung, besonders für klein- und mittelständische Firmen gewährt. Trotz Problemen mit einer zum Teil veralteten Infrastruktur der britischen Wirtschaft, vor allem in den ehemaligen Basis-Industriezweigen wie im Schiffsbau und in der Stahlindustrie, habe die Regierung Großbritanniens vor etwa 12 Jahren erkannt, dass, so Rothnie, »der Elektronik die Zukunft gehört«.
Getreu dieser Erkenntnis begann man mit Aktionen seitens der Regierung, die Öffentlichkeit zu informieren und für die Elektronik zu interessieren. »Anfangs mit mäßigem Erfolg«, wie Rothnie freimütig bekennt.‘ Zu Hilfe kam der britischen Regierung aber unter anderem auch der Zuzug der amerikanischen Firmen. So ständen heute zwischen Glasgow und Edinburgh nahezu alle amerikanischen Firmen mit eigenen Fertigungsstätten. Dies sei, so Roth nie, ein wesentlicher Motor für die Entwicklung der heimischen Elektronikindustrie. Weiterhin habe die Regierung vor etwa vier Jahren einen Minister für Technologie ernannt, Kenneth Baker, der laut Rothnie »umfassende Aktivitäten entwickelt und zusammen mit seinen Beamten wesentlich dazu beigetragen hat, dass die Elektronik ‚an den Mann gebracht‘ worden ist«.
Als Konsequenz dieser Bemühungen, ähnlich wie auch in der Bundesrepublik, stellte die britische Regierung spezielle Förderprogramme zur Verfügung. Rothnie nennt als Beispiele praktizierter Förderungsthemen die »Entwicklung von neuen Bauelementen«, »CAD/CAM«, »Glasfaseranwendungen im Telekommunikationsbereich«, »Entwicklung von Software« und weitere spezielle Förderprogramme. Ähnlich wie das Sonderprogramm des Deutschen Bundesministeriums für Forschung und Technologie »Anwendung der Mikroelektronik«, gewähre man in Großbritannien mit dem »mikroelectronic applikations scheme« Unterstützung für Firmen, die in ihre Produkte Elektronik einsetzen wollen, aber das Know-how noch nicht haben. »Dafür sind seitens der Regierung 85 Millionen Pfund über einen Zeitraum von drei Jahren zur Verfügung gestellt worden.« Das Programm startete Anfang 1982, und im ersten Jahr sind nach Angaben von Rothnie bereits 50 Millionen Pfund vergeben worden. Deshalb, so Rothnie, müsse der Fond wieder aufgestockt werden.
Aber nicht nur die rein finanzielle Unterstützung trage zum Erfolg bei, sondern man habe, so Rothnie, das Bewusstsein für die Bedeutung der Technik in der britischen Bevölkerung wecken können. So seien beispielsweise vor einem Jahr ins gesamt 9 Millionen Pfund für den Kauf und die Verteilung von Kleincomputern an alle Primary Schools (1. bis 3. Klasse) zur Verfügung gestellt worden. Von 2700 Schulen besitze jetzt jede einen solchen Kleincomputer, berichtet Rothnie. »Die Regierung ist davon ausgegangen, wenn man die Kinder nicht mit der Sache vertraut macht, dann hat alle andere Unterstützung keinen Zweck.« Gerade diesem Punkt misst Rothnie wesentliche Bedeutung zu: »Durch die Bemühungen seitens der Regierung, die Öffentlichkeit zu informieren, ist die Angstschwelle gegenüber neuen Technologien in England wesentlich weiter abgebaut worden als hier in Deutschland.« Wesentlich sei dabei, dass die Erfahrungen in England gezeigt hätten, dass die Elektronikindustrie bisher mehr Arbeitsplätze geschaffen hat als durch sie abgebaut wurden.
Den manchmal etwas euphorischen Prognosen seiner britischen Landsleute über die Zukunft der englischen Elektronikindustrie steht Rothnie eher etwas skeptisch gegenüber. »Ich genieße solche Prognosen mit Vorsicht. Das kann im Moment zwar zutreffen, aber erst die Zukunft wird zeigen, ob dies eine kontinuierliche Entwicklung ist. Man muss abwarten.« Global gesehen bestätigt Rothnie der deutschen Elektronikindustrie eine ähnliche Struktur wie in Großbritannien. »Was Deutschland produziert, produziert auch Großbritannien. Wir sind auf vielen Märkten Konkurrenten.« Je doch habe sich nach Rothnies Meinung gezeigt, dass ein hoch industrialisiertes Land gleichzeitig den besten Markt für hochentwickelte Produkte darstellt.
Bei Elektronikbauteile sei Deutschland für Großbritanniens Exportbemühungen der zweitwichtigste Markt. Und auch für den deutschen Export läge Großbritannien immerhin an vierter Stelle. Die Handelsbilanz beider Staaten auf diesem Gebiet sei nahezu ausgeglichen. So nennt Rothnie für den Export elektronischer Schaltkreise nach Westdeutschland für die ersten 10 Monate 1982 ein Umsatzvolumen von nahezu 30 Millionen Pfund. Im selben Zeitraum lieferte die Bundesrepublik für knapp 28 Millionen Pfund integrierte Schaltkreise nach Großbritannien. Wesentlichen Anteil am englischen Umsatz in Deutschland haben dabei nach Rothnies Aussage hochtechnische Produkte für den professionellen Bedarf. Seine Aufgabe als Handelsattache im britischen Generalkonsulat in München sei es unter anderem, bei deutschen Firmen Interesse für Großbritannien als mögliche Bezugsquelle »natürlich unter den gegebenen kommerziellen Gesichtspunkten«, zu wecken. Neben Marktstudien, der Verarbeitung von Vertretungsanfragen sowohl seitens deutscher Firmen, die Produkte aus Großbritannien beziehen wollen, als auch britischer Firmen, die in der Bundesrepublik verkaufen wollen, organisiere man besonders für kleine und mittelständische britische Unternehmen die Teilnahme an deutschen Messen, wie Electronica und Productronica. Darüber hinaus versuche man durch Veranstaltungen von Reisen für mögliche deutsche Käufer zu britischen Firmen nach Großbritannien, »unseren deutschen Geschäftsfreunden die Gelegenheit zu geben, sich selbst ein Bild über die britische Elektronikindustrie zu machen.«